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15.12.2014

Durch das Land der namenlosen Berge 6 - Der Schneeleopard



Während die Temperatur gestern Abend immerhin noch 16 Grad betrug, hat es sich am nächsten Morgen auf lediglich 3 Grad abgekühlt. Bereits vor halb sieben bin ich im noch düsteren Tal wieder unterwegs. Erstaunlich, wie viele Leute um diese Zeit bereits den Pfad benutzen: Kinder  auf dem langen Fußweg zu ihrer Schule in Tinje, Leute die nach den Ziegen schauen, unter ihrer Futterlast schwer gebückte Frauen und verwegene Reiter auf kleinen, zähen Ponys. Ich habe keine große Erfahrung mit Pferden, aber mit welcher Geschwindigkeit man sich auch in schwierigem Terrain hier auf den Vierbeinern bewegen kann, regt meine Fantasie schon an…
Am Fluss beobachte ich Wasseramseln und vor allem einen drosselgroßen Vogel, mit lila Brust und weißem Kopf, der sich ebenfalls in der Nähe des Flusses wohl zu fühlen scheint.
Als gegen 8 Uhr die Sonne den Talboden erreicht, stelle ich fest, dass dies die schönste Schlucht ist, der  wir bislang in Dolpo gefolgt sind. 

       
             
Überall finden sich die Symbole des Buddhismus, sogar die von hier unzugänglichen Talberge sind häufig von Chorten gekrönt.

                                                                  Chorten 

Die Begegnungen am Weg mit den freundlichen Einwohnern sind stets interessant.


                               Moderne Lederjacke und uraltes Gewehr - welch Kontrast!
           
                             Die Frauen sind meist traditioneller gekleidet

Irgendwann holt Bernd mich ein, und wir verlassen das Haupttal beim Ort Shimen, der deutlich kleiner als Tinje ist.


                                                              Vor Shimen

Ab jetzt lassen wir die Besiedlung hinter uns und folgen dem Tal des Chanpola Khola aufwärts.


                                           Im Tal des Chanpola Khola

An der Einmündung des Ghurbuk Khola, schlagen wir bereits früh unser Lager auf. Die Sonne scheint und es ist angenehm warm, Zeit mich und meine Wäsche endlich einmal zu waschen, sowie mein Gesicht einer Rasur zu unterziehen! Darüber hinaus muss ich mich ein wenig verarzten:
Meine Trailrunningschuhe hatten sich ja in Schottland gut bewährt, daher trage ich ein neues Paar auch auf dieser Wanderung. Allerdings hatte sich gezeigt, dass das Futter an der Ferse relativ schnell aufgescheuert wird. Daher hatte ich diese Schwachstellen mit einem Leder verstärken lassen. Bei den Tests zu Hause verursachte dieses auch keine Probleme, aber nun haben sich bei mir an beiden Füßen wunde Stellen an der Ferse gebildet, die ich regelmäßig mit Pflaster abkleben muss, um Schlimmeres zu verhindern.
Später unternehme ich noch einen Spaziergang weiter aufwärts im Chanpola Tal. Dieses führt direkt zum Chala La Pass an der tibetischen Grenze. Während der Weg anfangs deutlich zu erkennen ist, verliert sich die Pfadspur bald vollständig. Erstaunlicherweise gibt es hier stellenweise einen recht dichten Bewuchs aus dornigen Sträuchern.

                           Der nach Tibet führende Weg im Tal wird kaum noch benutzt


                                                                   Fruchtstände

Am nächsten Morgen warten knapp 1000 Höhenmeter Anstieg auf uns. Zunächst folgen wir dem Tal des Ghurbuk Khola, gelangen dann aber recht bald auf einen in Serpentinen verlaufenden, zum Teil steilen, aber unschwierigen Pfad. Je höher wir gelangen, desto mehr ockerfarbene, teils zackige, teils sanft gerundete Berge zeigen sich uns im satten Himmelsblau.
Allerdings sind wir nicht allein, eine Schweizer Trekkingruppe, bestehend aus drei Kunden, dem Chef des Reiseunternehmens, 7 nepalesischen Helfern und sieben Maultieren folgt uns. Jeder geht sein eigenes Tempo, daher ist die Gruppe weit auseinander gezogen. Bald werden wir dann von den ersten Leuten überholt.

                                                           Aufwärts zum Pass

Bereits gegen Mittag haben wir die Passhöhe des 5030 Meter hohen Muri La erreicht. Während unserer ausgiebigen Gipfelrast unterhalten wir uns mit Ernst Marti, dem Bergführer und Besitzer des Unternehmens, der mit seinen drei Kunden eine 23- tägige Wanderung durch Dolpo unternimmt. Seine Reisen führen oft an abgelegene Orte abseits der Hauptrouten von Madagaskar bis Alaska, daher ist es interessant, sich mit ihm auszutauschen. Dolpo ist seine Lieblingsgegend in Nepal, aber auch die Umgebung des Kangchendzönga findet er zur Blütezeit im Frühjahr sehr schön.


                                                           Muri La (5030 m)


                                    Ein gewaltiges Panorama ockerfarbiger Berge öffnet sich uns

Auf einem guten Pfad verlieren wir im Abstieg rasch an Höhe.

                                                       Auf gutem Pfad bergabwärts

Von einem Absatz aus, können wir bereits das tief unter uns im Tal des Musi Khola liegende Dorf Musigaon erkennen.

                                                                 Musigaon

Während die Schweizer unmittelbar am Dorf ihr Lager beziehen, laufen wir noch ein Stück talabwärts um ein vor den Blicken der Dorfbewohner geschütztes Fleckchen zu finden. Das gelingt uns allerdings kaum. Denn noch während wir die Zelte aufschlagen, kommen zwei Frauen, die Futter schneiden, zu uns. Klar gibt es auch woanders Grün für das Vieh, aber es ist ja zu interessant die beiden Fremden zu betrachten…


                                                           Frauen aus Musigaon

Während ich den Schweizern einen Besuch abstatte, bleibt Bernd im Lager. Er hat zu große Bedenken, dass sogar unsere Zelte gestohlen werden könnten. Na ja, der Schweizer Ernst erzählt, dass ihm sogar einmal das Toilettenzelt während der Nacht geklaut wurde, daher ist Vorsicht in Dorfnähe sicher angebracht.
Die orangefarbenen, schroffen Dolomitklippen am Musi Khola sind sehr sehenswert. Während der Pfad zunächst unmittelbar am Ufer entlang führt, bewegen wir uns später meist auf schmalen Pfaden entlang der Hänge.

                                                             Am Musi Khola





                                       Der schmale Pfad traversiert die steilen Hänge

Am spektakulärsten wirkt die Schlucht unmittelbar vor der Einmündung in den Panyjang Khola, den wir ja bei Shimen zuletzt verlassen hatten. Leider reicht unser Blick nicht ganz bis in den  tiefen Schatten am Talboden.




                                                  Eine grandiose Schlucht

Unser nächstes Ziel, die große Klosteranlage Yanjer Gompa, können wir schon jetzt erkennen. Doch obwohl das Kloster am Berghang liegt, müssen wir zunächst zum Fluss absteigen. Zu unserer Überraschung, nimmt eine große Yakherde dort ein erfrischendes Bad.




                                           Yaks im Panyjang Khola

Auch die Schweizer wandern in unsere Richtung. Obwohl sie ja Maultiere dabei haben, ist es erstaunlich, welche Lasten die Träger teilweise schleppen. Eigentlich hat die nepalesische Regierung die Last von Trägern auf 30 kg begrenzt. Aber einige der meist jungen Männer, tragen auch 45 Kilogramm. Natürlich, um so den 1,5- fachen Lohn zu erhalten…
Die meisten Lasten werden in Bastkörben transportiert. Ein um die Stirn gewundener Riemen bewirkt, dass ein Großteil der Belastung auf dem Nacken liegt. Auf die Dauer ist das bestimmt nicht gesund. Da lobe ich mir doch unserer guten Rucksäcke, die mit ihrem Tragesystem den größten Teil des Gewichts auf die Hüften lenken.

                                                   Schwer bepackte Träger

Wir haben jetzt den Shey Phoksumdo Nationalpark erreicht, mit 3555 qkm das größte geschützte Gebiet in Nepal. Allerdings erhalten wir auch später nicht den Eindruck, dass hier irgend etwas für den Naturschutz unternommen wird, was den Park vom Rest Dolpos unterscheiden würde…
Es geht wieder steil aufwärts zum Dorf Nisalgaon. Obwohl der Ort nur aus wenigen Häusern besteht, besuchen doch viele Kinder die hiesige Schule. Wahrscheinlich kommen Schüler aus der weiteren Umgebung an diesen Ort, aber zweifellos sind zahlreiche Kinder normal in den nepalesischen Familien. Offenbar kommen gelegentlich Trekker hierher, denn die Kinder sind überhaupt nicht schüchtern und versuchen ihre bescheidenen Englischkenntnisse an uns zu erproben...


                                           Schulkinder in Nisalgaon

Bald darauf erreichen wir Yanyer Gompa. Während früher sicher zahlreiche Mönche hier lebten, wirkt das Kloster heute fast ausgestorben. Faszinierend finde ich eine Wandmalerei, die einen Elefanten zeigt. Wo hat der Künstler diese Dickhäuter gesehen?


                                                      Yanjer Gompa

Die Lage des Klosters hoch über dem Tal, lädt sicher zum Meditieren ein.
Leider schlagen wir hinter der Gompa einen falschen Pfad ein. Dieser verläuft zwar auch oberhalb des Flusses in unsere Richtung, da wir aber nicht sicher sind, ob wir später noch einmal zu der Brücke absteigen können, die bei der Mündung des Nagao Khola ans andere Ufer führt, beschließen wir irgendwann, weglos den steilen Hang hinab zum Fluss abzusteigen. Obwohl einige Stellen etwas Vorsicht erfordern, gelangen wir ohne Probleme nach unten.

                             Blick zurück talaufwärts von Yanjer Gompa

Am Nagao Khola treffen wir auf das Lager der Schweizer, und nutzen noch einmal die Gelegenheit zu einem Plausch, denn ab Morgen trennen sich unsere Wege wieder. Plötzlich kommen einige Windböen auf, die die Häringe ihres großen Küchenzeltes aus dem Boden reißen.
Schließlich machen wir uns wieder auf den Weg, den Nagao Khola aufwärts.
Große Ziegenherden beweiden die trockenen Hänge. Kann dieser trockene Lebensraum so viele gierige Mäuler verkraften?
Lange Zeit verläuft der Pfad oberhalb des Flusses. Auch als wir dann doch an den Nagao Khola gelangen, finden wir keinen guten Lagerplatz. Zwar gibt es genügend ebene Flächen, diese sind aber meist ziemlich windausgesetzt und voller Rinder- und Ziegenkot. Eine zugemauerte Höhle in einer Felswand kann leider mittlerweile nicht mehr ohne größere Kletterei erreicht werden. Schließlich schlagen wir unsere Zelte nach langer Suche doch auf einem suboptimalen, staubigen Platz den eine schmale Terrasse bietet, auf. Nach 13 Tagen haben wir heute etwa die Hälfte des Weges zu unserem ersten Etappenziel, Gamghadi am Rara See, zurückgelegt.
Am nächsten Morgen wollen wir bald das Tal des Nagao Khola verlassen und auf einer sehr abgelegenen Route, die nicht dem Verlauf des Great Himalaya Trails entspricht, bis in die Nähe von Pho laufen. Es ist klar, dass wir ab jetzt zusammen laufen müssen, um uns nicht zu verlieren. Nun, bisher bin ich entweder vor Bernd gestartet oder wir sind zusammen früh los gelaufen. Man hat hier nur etwa 12 Stunden Tageslicht, und die möchte ich gerne ausnutzen. Wichtig dafür ist ein früher Start, da ein Mangel an geeigneten Lagerplätzen vor Passübergängen und andere Situationen ohnehin oft ein frühes Lager aufschlagen erfordern. Bernd dagegen, würde am Liebsten immer erst morgens starten, wenn bereits die Sonne ins Lager scheint. Gut, heute bin ich damit einverstanden, dass wir erst gegen 8 los laufen. Aber die Frage des morgendlichen Starts birgt ohne Zweifel einiges an Konfliktpotenzial zwischen uns...



                                       Morgen im Tal des Nagao Khola

Unterhalb des Dorfes Tilling beginnen wir den langen, steilen Aufstieg aus dem Tal. Die Ernte ist hier noch in vollem Gange und die aufgeschichteten gelben Garben kontrastieren wundervoll mit dem strahlend blauen Himmel.


                                        Getreideernte beim Dorf Tilling

Eine Zeit lang begleiten uns zwei Männer. Der eine trägt ein Transistorradio auf seiner Schulter, während der andere mit schwarzer Lederjacke und Zopf auch nicht gerade wie ein Bergbewohner wirkt. Es stellt sich heraus, dass der Typ mit der Lederjacke der Dorflehrer ist. Zur Zeit sind Ernteferien, daher will er auch aufs Feld. Wir erfahren, dass der Unterricht hier nur während des Sommers statt findet. Im Herbst würde ein Großteil der Bewohner und des Viehs in die tieferen Lagen des nepalesischen Flachlands vor Schnee und Kälte ausweichen. Hauptsächlich die älteren Leute bleiben in den Dörfern zurück, erzählt er.
Wir wandern auf schmalem Pfad oberhalb einer tief eingeschnittenen Schlucht weiter. Neben Tilling gibt es hier noch zwei weitere Dörfer.


                       Noch wandern wir durch besiedeltes Gebiet


Die Dörfer sind Oasen in der kargen Bergwüste

Ohne erkennbaren Anlass bricht plötzlich die Plastikschnalle an Bernds Hüftgurt. Das könnte ein richtiges Desaster sein, aber mein umsichtiger Freund hat glücklicherweise Ersatz dabei…
Als wir das letzte Dorf Sibuk passiert haben, sind wir bereits etwa 600 Meter über dem Tal.
Im weiteren Aufstieg begeistert uns die rote Laubfärbung einer Strauchart. Wahnsinn, wie der Herbst so Farbe in die trockene Landschaft zaubert.




Der Herbst bringt die trockene Berglandschaft zum Erglühen

Bernd, der wohl mittlerweile seine unzureichende Ernährung spürt, ist sehr langsam und muss sich bei jedem Schritt vorwärts kämpfen. Wir sind schon drauf und dran das Lager aufzuschlagen, aber mein Partner schafft es noch einmal seine Schwäche zu überwinden und wir steigen weiter auf zu einem Pass auf etwa 4600 Meter Höhe, den wir erst gegen 16.30 erreichen.


                            Mein zäher Partner kämpft sich vorwärts

    
                                                  Pass auf 4600 Meter Höhe

Weit entfernt ragt das Dhaulagiri Massiv ins Blau und wir können die Bergkette an der tibetischen Grenze klar ausmachen.

                           Blick zu den Bergen an der chinesischen Grenze

Nachdem wir ein Stück weit abgestiegen sind, stoßen wir auf einen geeigneten Lagerplatz der sogar über Wasser verfügt. Allerdings ist es hier sehr windig, und die 5 Grad Außentemperatur fühlen sich unangenehm kalt an. Ich schlage vor einen besseren Platz zu suchen und steige zur Erkundung ein ganzes Stück weit ab. Schließlich schlagen wir dort unsere Zelte auf. Allerdings ist es so windig, dass trotz errichtetem Steinschutz, dass Wasser im Topf nicht zum Kochen kommt. Nach einiger Zeit geben wir das Freiluftkochen auf, und Bernd bereitet den Kartoffelbrei in seinem Zelt zu.

                                                     Windiges Lager

In der Nacht friert es, daher ist am Morgen die Innenwand meines "Zeltes" von Eiskristallen bedeckt.
Aber kaum zu glauben, schon bald nachdem die Sonne ihr Licht über die Hänge ausgießt, können wir bequem im T- Shirt laufen. Als wir zurück auf den Weg gelangen, begegnet uns ein einsamer Nepalese, der zu Fuß unterwegs ist, ansonsten sollten wir heute niemanden mehr treffen.
Der Pfad ist recht gut zu erkennen und windet sich in weiten Bögen um die Schluchten herum.
Wir erreichen einen weiteren Pass auf 4700 Meter Höhe. Die markante Pyramide an der Grenze die wir schon gestern ausgemacht hatten, erscheint jetzt klar vor uns. Es handelt sich um den 6103 Meter hohen  Damphesail.

                              Damphesail (6103 m)


                                                Namenloser Pass auf 4700 m Höhe

Obwohl wir in dem stark zergliederten Gelände häufig auf- und absteigen, halten wir im Wesentlichen diese Höhe und erreichen gegen Mittag den nächsten Pass. Ein Stück tiefer setzen zitronengelb verfärbte Birken tolle Farbtupfer in die Landschaft.

                                               Leuchtende Birken an der Baumgrenze

Über einen abenteuerlichen Pfad hoch in einer steilen Bergflanke, erreichen wir ein traumhaft gelegenes, kleines Hochplateau. Fünf einfache Steinhütten dienen sicher Hirten aus dem Tal als Unterschlupf. Offenbar haben Mensch und Vieh aber bereits die Höhen verlassen, da wir niemand antreffen. Kurz entschlossen wählen wir eine der Hütten für unser Lager aus.
Während Bernd die traumhafte Lage der Hochalm genießt, ebenso wie die wärmenden Sonnenstrahlen, breche ich zu einem Spaziergang in die Umgebung auf.

                                                      Hier lebt der Schneeleopard

Wenn ich zurück schaue, kann ich unseren Weg hierher im Hang über eine weite Strecke bis zum letzten Pass zurück verfolgen.

                                Abenteuerlicher Pfad hoch im Steilhang

Die tiefe Schlucht des Kubu Khola liegt bereits im Schatten, während auf meiner Höhe die Abendsonne die Felsen leuchten lässt.

                                                     Über dem Kubu Khola

Ich habe das Weitwinkelobjektiv auf der Kamera, da ich die schönen Landschaftsbilder des Abends fotografiere, und nicht damit rechne Wildtieren zu begegnen, für die das Tele sinnvoller wäre…
Lediglich etwa 300 Meter von unserem Lager entfernt, nehme ich plötzlich etwas auf einem Bergrücken wahr, was nicht zu den Felsen der Umgebung passt. Noch vor kurzem schien hier die Sonne, doch jetzt herrschen bereits die Schatten des Abends. Ich schaue durch das kleine Fernglas, das ich immer dabei habe und glaube meinen Augen kaum zu trauen: Das was da nur 30 Meter von mir entfernt auf dem Bauch liegt, ist ohne jeden Zweifel ein Schneeleopard! Die scheue Katze blickt in Richtung der Hochalm und hat mich noch nicht bemerkt. Statt jetzt erst einmal einen Schnappschuss zu machen, beginne ich damit, dass Teleobjektiv aus meinem leichten Tagesrucksack zu holen und es auf die Kamera zu schrauben. Leider bemerkt der Schneeleopard eine Bewegung und sieht mich kurz an. Diese Großkatze ist zwar etwas kleiner als der normale Leopard, den ich schon in Afrika gesehen habe, und sein Fell ist eher grau- weiß, als gelb, aber dennoch absolut spektakulär. Dass eine solche Begegnung, wie ich sie gerade erleben darf, wegen der legendären Scheu des Schneeleoparden einem Sechser im Lotto nahe kommt, erhöht noch mein Glücksgefühl. Leider sehen wir uns nur einen kurzen Augenblick lang in die Augen, dann läuft die Katze rasch bergab, wobei ich ihren überdimensional langen Schwanz gut ausmachen kann, bleibt noch einmal kurz stehen und verschwindet dann endgültig in Richtung der Schlucht. Wow! Ich kann meinen Dusel kaum fassen, ärgere mich aber auch gleichzeitig, dass mir kein Foto gelungen ist. 
Der Schneeleopard hat ein weites Verbreitungsgebiet in den Hochgebirgen Asiens, von Sibirien bis zum Himalaya. Dennoch ist er überall sehr selten und sein Bestand nimmt weiter ab. Dafür ist zum Einen die Bejagung verantwortlich. Ähnlich wie beim Tiger werden auch für seine Knochen Unsummen auf dem chinesischen Markt gezahlt. Ausserdem verdrängt vielerorts immer mehr Vieh seine eigentlichen Beutetiere, wie zum Beispiel die Blauschafe. Reißt er dann Ziegen oder Rinder, wird er dafür immer wieder erlegt. Toll, dass es die große Bergkatze in dieser Gegend noch gibt. Ich hatte schon befürchtet, dass die starke Konkurrenz durch die Massen von Ziegen in Dolpo dazu geführt hat, dass es kaum noch Wildtiere gibt.
Zurück bei den Hütten erzähle ich Bernd von meiner fantastischen Beobachtung. Später bereiten wir dann unser Abendessen in unserer steinernen Unterkunft zu, da es draußen nach Sonnenuntergang empfindlich kalt geworden ist.

                                                      Wir kochen in der Hütte

Am nächsten Morgen kann Bernd ausschlafen, da ich versuchen möchte, noch einmal den Schneeleoparden zu Gesicht zu kriegen. Ausserdem feiert mein Freund heute seinen Geburtstag und da sollte man doch auch mal ausschlafen dürfen…
 Die große Bergkatze wieder zu sehen,  gelingt mir natürlich nicht, dafür beobachte ich eine Menge an gar nicht scheuen, fetten Himalaya Schneehühnern. Nettes Leopardenessen!

                                                   Himalayaschneehühner

Der Abschnitt unserer Wanderung ab Tilling stellt für mich bisher den Höhepunkt unserer Tour da, klar, die Beobachtung des Schneeleoparden war ein absolutes Highlight, aber auch der aussichtsreiche Pfad hoch über den Tälern ist oft atemberaubend. Hinzu kommt, dass wir hier endlich Einsamkeit finden. Dolpo ist zwar landschaftlich herausragend, aber trotz der an sich recht dünnen Besiedlung stellt sich zumindest in den Tälern nur selten das "Wildnisgefühl" ein, da man doch häufig Menschen und Vieh begegnet.
Vor dem Anstieg zum nächsten Pass müssen wir noch einmal unsere Wasserflaschen auffüllen. Leider habe ich von der gestrigen Erkundungstour noch einen Bach in Erinnerung, der sich dann aber als ausgetrocknet erweist. Wir wollen nicht ohne ausreichenden Flüssigkeitsvorrat weiter ziehen, daher laufe ich ein ganzes Stück zurück, um neues Wasser aufzunehmen.
Ich muss nach wie vor meine Fersen abkleben, aber auch Bernd hat mittlerweile ein Fußproblem: Stellenweise zeigen sich rote Scheuerstellen. Um dem Abhilfe zu verschaffen, wickelt er eine Socke um seine Zehen, was ihm Linderung verschafft.
Irgendwann verschwindet der vorher deutlich sichtbare Pfad. Offenbar haben wir eine Abzweigung verpasst. Was soll 's, das Gelände ist nicht allzu schwierig, aber erstaunlich dicht mit dornigen Sträuchern bewachsen. Kaum zu glauben in dieser Höhe!
Irgendwann erreichen wir unseren nächsten namenlosen Pass auf etwa 4800 Meter und dürfen erneut ein herrliches Panorama genießen.


Zwar hatte ich mir den Track unserer geplanten Route aufs GPS geladen, aber wirklich notwendig ist ein Navigationsgerät in der recht übersichtlichen Landschaft Westnepals nicht. Nun ja, ich stelle fest, dass wir uns ein ganzes Stück von unserer geplanten Route entfernt haben. Allerdings können wir bereits den Pfad ausmachen, der bergab zu den trockenen Weideflächen der Pho Kharka führt. Um ihn zu erreichen, traversieren wir am Hang durch teilweise steile, rutschige Geröllfelder bis unterhalb eines anderen Passes, wo wir wieder auf unserem GPS- Track sind.
Von nun an müssen wir fast 1800 Meter bis zum Tal des Tora Khola absteigen. Beim Tora handelt es sich übrigens um unseren alten Bekannten Panyjang Khola, der hier lediglich den Namen gewechselt hat. Durch die unzugänglichen Schluchten am Fluss führt kein Pfad. Aber vielleicht käme ein wagemutiger Packrafter dort durch?
Wir erreichen die trockene weitläufige Hochebene der Pho Kharka. Auch hier sehen wir kein Vieh, dafür aber ein 17- köpfiges Blauschafrudel. Kurz vor Erreichen der Hochfläche sind wir auch wieder auf die von Bhijer kommende "Normalroute" des Great Himalaya Trail gestoßen.

                                                             Pho Kharka

Bernd ist im Abstieg viel schneller als ich und wartet daher immer mal wieder. Um so mehr wundere ich mich, als er dann für lange Zeit aus meinem Blickfeld verschwindet. Was soll 's, der Weg ist gut erkennbar und irgendwann werden wir uns schon wieder treffen. An dem ersten Bach seit langer Zeit, sehe ich dann zu meiner großen Überraschung einige Zelte stehen. Bernd sitzt bei zwei Nepalesen. Es stellt sich heraus, dass der eine von ihnen, Shankar Rai,  gerade eine Trekkingagentur gegründet hat, und die Route erkundet, da Schweizer Kunden im Frühjahr  hier eine Wanderung unternehmen wollen.
Bei den Zelten handelt es sich um das Lager einer deutschen Gruppe, die ebenfalls weiter in unsere Richtung gehen will.
Ich hatte in dieser Gegend, abseits der üblichen Standartrouten durch Dolpo, nicht damit gerechnet auf organisierte Gruppen zu treffen. Nach den hinter uns liegenden schönen, einsamen Tagen hatte ich darauf gehofft, dass ich gerade in dem vor uns liegenden Abschnitt, der als einer der spektakulärsten des ganzen Great Himalaya Trails beschrieben wird, Abgeschiedenheit in einer grandiosen Wildnis finden werde. Um so mehr bin ich darüber enttäuscht, diese mit einer großen Gruppe teilen zu müssen. Vielleicht hätte ich damit rechnen sollen, dass die verlockende Beschreibung dieses Abschnitts im Führer zum GHT auch andere hierher lockt…
Die große Gruppe stellt sich als drei Deutsche heraus, die mit 15 nepalesischen Begleitern ohne Tragtiere unterwegs sind. Später sollten wir feststellen, dass es sich dabei um nette, interessante Menschen handelt, dennoch ist meine gute Laune einstweilen ziemlich verschwunden, was der arme Bernd ausbaden muss…
Oberhalb von einem tief eingeschnittenen Seitencanyon steigen wir ab zur atemberaubenden Schlucht unseres alten Bekannten, des Tora Khola, den wir auf einer Holzbrücke überqueren.






                                         Der kleine Bach hat eine tiefe Schlucht gegraben                             

   
                                               Im Canyon des Tora Khola

Auf der anderen Flussseite treffen wir eine Gruppe aus 8 jungen Männern, die wilde Früchte gesammelt haben. Sie wohnen in Pho, das wir morgen erreichen möchten. Obwohl Pho das wohl abgelegenste Dorf in Dolpo ist, wirken die  Männer freundlich und aufgeschlossen, dabei aber völlig entspannt, gastfreundlich und überhaupt nicht aufdringlich. Einige von ihnen sprechen sogar etwas englisch.

                         


                                 Junge Männer aus Pho haben wilde Khumbu Früchte gesammelt

Obwohl hier ein geeigneter Lagerplatz wäre, ziehen wir es vor, etwas versteckter zu Zelten. Bernd geht auf eine kurze Erkundungstour und hat auch bald einen herrlichen Platz entdeckt: Eine Fläche mit kurzem Gras und einigen jungen Pappeln unter einer steilen Felswand. Heute, am 16 Tag, haben wir erst unsere zweite Gaskartusche verbraucht. Hier auf nur 3250 Metern ist es mit 15 Grad noch nach Einbruch der Dunkelheit erstaunlich mild.
Da wir am nächsten Tag nicht weiter als Pho wandern wollen, lassen wir uns am nächsten Morgen viel Zeit, die ich für die persönliche Hygiene und zum Wäsche waschen nutze. Erst als die Sonne längst den Talboden erreicht hat, brechen wir gegen 11 Uhr auf.





                                     Ein schöner Morgen im Tora Khola Tal

Bald verlässt der Pfad den Fluss und führt in einem Nebental sehr steil aufwärts. Wie schon bei Chharka Bhot treffen wir auch hier unterhalb des Dorfes auf zwei vertraute Blauschafrudel und es gelingt mir, eine ganze Reihe von Aufnahmen zu machen.




                                                                     Blauschafe

Schließlich erreichen wir den auf einer weitläufigen Terrasse gelegenen Ort Pho. Hier befinden wir uns wieder knapp oberhalb der 4000 Meter Marke.

                                    Blick zurück von Pho auf unsere gestrige Route


Einer der jungen Männer, den wir gestern kennen gelernt hatten, beschreibt uns, wo wir zelten können. Die besten Plätze sind schon von der anderen Trekkinggruppe belegt, aber wir finden auch noch eine geeignete Stelle.


                                             Noch sieht der Zeltplatz gut aus…

Später bekommen wir Besuch von den drei Deutschen, die mit ihrem Team unterhalb von uns zelten. Alle drei sind schon über 70, aber noch sehr fit. Herrmann, der die Reise organisiert hat, war sieben Jahre lang Leiter des Deutschen Entwicklungsdienstes in Nepal, und kennt das Land daher sehr gut. Außerdem hat er auch vier Achttausender bestiegen…
Heute bewache ich das Lager, während Bernd das Dorf erkundet. Vor Sonnenuntergang kommt heftiger Wind auf. Immer wieder wird meine Notbehausung umgedrückt, so dass ich schließlich das "Zelttarp" abbaue, und im Inneren der benachbarten Ruine schlafe. Glücklicherweise regnet es nur ein paar Tropfen…
Morgen wartet der Aufstieg zum höchsten Pass dieser Wanderung auf uns…

                     Die grüne Linie zeigt unseren Weg von Shimen nach Pho


2 Kommentare:

  1. Schade, dass es mit dem Foto des Schneeleoparden nicht geklappt hat... aber trotzdem wie sont auch, tolle und schöne Fotos... Ich frage mich immerzu, wie die Leute in so einer Umgebung leben und überleben können.... wahnsinn...!!!
    lg Christine

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  2. Pho wirkte tatsächlich sehr harmonisch und die Leute machten einen zufriedenen Eindruck. Ich fand sehr interessant, dass auch die jungen Männer aufgeschlossen, dabei aber zurückhaltend waren. Im weiteren Verlauf der Wanderung sollten wir noch andere Erfahrungen machen….

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