Translate

15.12.2013

Mit Packraft und Wanderstiefeln durch die Wildnis des Yukon Territory 1

                                                         In den Richardson Mountains

Die Idee

Zwar hatte ich Kanada schon zweimal besucht, war dabei aber nur bis in den Norden British Columbias gelangt. Die riesigen Wildnisgebiete des Yukon oder auch Alaskas kannte ich noch nicht.
Zunächst hatten die Fernsehberichte von Andreas Kieling mein Interesse an der Region neu entfacht. Dann lernte ich im Internet Richard kennen, einen jungen Österreicher der im nördlichen Yukon bereits zwei lange, abenteuerliche Wanderungen unternommen hatte, über die er auf seiner Webseite berichtete.
Bereits nach kurzer Beschäftigung mit der Möglichkeit einer Wanderung im Yukon stellte ich fest, dass diese gar nicht so schwer zu organisieren wäre.

Seit letztem Jahr kann man alle kanadischen Landkarten bis zum Maßstab 1:50.000 kostenfrei aus dem Internet herunterladen. Mit diesen Karten und d Google Earth ist auch die konkretere Planung unkompliziert durchzuführen. Zunächst dachte ich lediglich an eine lange Wanderung in den Richardson Mountains unmittelbar südlich des Polarkreises. Diese Berge sind über den Dempster Highway einfach zu erreichen. Der Dempster Highway ist eine über 700 Kilometer lange Schotterpiste, die aus der Nähe von Dawson City bis nach Inuvik im Delta des mächtigen Mackenzie Rivers führt.
Auch mein österreichischer Internetfreund Richard war schon dort gewandert, und die Bilder die er davon auf seiner Seite präsentierte, ließen die Gegend für mich ziemlich attraktiv erscheinen.
Dann stieß ich bei meinen Recherchen im Internet auf einen Bericht, in dem es darum ging, dass die Teilnehmer eines Adventure Race durch die alaskanische Wildnis ein so genanntes Packraft mitführten, um Flüsse zu überqueren.
Ein Boot, das leicht genug ist um bei einem Rennen im Rucksack mitgeführt zu werden? Nun, ich hatte mir ein ähnliches Boot der französischen Firma Sevylor schon einmal gekauft. Beim ersten Versuch damit stellte es sich als ziemlicher Schrott heraus…
Dennoch versuchte ich mehr über Packrafts herauszufinden, und stellte fest, dass damit bereits sehr anspruchsvolle Expeditionen durchgeführt wurden. Diese nur 2 kg schweren Boote sind also offenbar robust und wildwassertauglich.
Schnell war mir klar, welche fantastischen Kombinationen aus Wanderungen und Flussbefahrungen sich mit so einem leichten „Rucksackboot“ umsetzen lassen.
Leider konnte ich das Packraft nicht in Deutschland kaufen, sondern musste es direkt bei der Herstellerfirma aus den USA bestellen. Das klappte gut, und so hatte ich noch zwei Wochen Zeit vor meiner Abreise um das Boot zu testen.
Am 14.8 begann dann meine Reise in die Weiten des Yukon.

Start mit Hindernissen

Eigentlich denkt man, eine Ferienflieger- Linie wie Condor fliegt nur an sonnige Strände oder maximal noch Kurzurlauber in aufregende Städte. Aber nein, die Fluglinie steuert im Sommer zweimal wöchentlich die Kleinstadt Whitehorse an, die nur über 26.000 Einwoher verfügt. Allerdings ist Whitehorse die Hauptstadt des kanadischen Yukon Territoriums, welches eineinhalb mal so groß wie Deutschland ist, aber insgesamt nur ca. 32.000 Einwohner hat!
Die Erklärung dafür, dass Condor dort hin fliegt, ist die Liebe der Deutschen zur kanadischen Wildnis. Insbesondere Kanutouren auf dem Yukon Fluss sind sehr beliebt. So verwundert es auch nicht, dass die Kunden vor dem Schalter etwas „wild“ aussehen, als ob sie nicht einen langen Flug vor sich haben, sondern gleich lospaddeln. Statt Lederköfferchen werden Bootstonnen und Trekkingrucksäcke als Gepäck aufgegeben.
Nach ca. 4 Stunden überfliegen wir Südgrönland. Der Himmel ist klar, daher sind die türkisen, tief eingeschnittenen Fjorde, kargen abgerundeten Berge die aus dem dominierenden Schnee ragen und später Packeisfelder sehr beeindruckend. Da ich ja leider keinen Fensterplatz habe, muss ich mich in den Gang stellen um etwas zu sehen. Die großen, kanadischen Inseln beeindrucken mit ihren Tundraweiten durch die sich mäandernde Flüsse schlängeln.
Über dem Yukon hängen leider Wolken, daher bekommen wir erst beim Landeanflug etwas von der Landschaft zu sehen. Berge mit etwas Schnee und Wälder dominieren hier, erst kurz vor der Landung zeigt sich, dass da unten tatsächlich eine Stadt liegt!
Das ist der Yukon, ein Land in dem selbst die Hauptstadt in der Wildnis verschwindet, so mein erster Eindruck. Nach 9-stündigem Flug haben wir Whitehorse erreicht.
Ein lustiger Flughafenangestellter macht Witze und muntert die Angekommenen damit auf, dass die Schlange zum Einreiseschalter nicht mehr lang sei. Er ist halt ein typischer Kanadier, offen und freundlich. Am Schalter angekommen, werde ich nur gefragt, ob ich Waffen dabei habe, für meine
12 kg Essen im Rucksack interessiert sich niemand.
Nachdem sich das Gepäckband nicht mehr dreht, machen viele der mit mir Angekommenen lange Gesichter. Auch mein Rucksack ist offenbar nicht eingetroffen. Condor hat hier keine eigene Vertretung, daher reihen wir etwa 30 „Gepäcklosen“ uns am Schalter von Air North ein, die in Whitehorse die Condor Flüge abwickelt. Für jeden wird ein Formular ausgefüllt und im Computer geschaut, ob das Gepäck schon irgendwo aufgetaucht ist. Lediglich ein Paar erfährt, das ihre Koffer in Brüssel stehen. Wie die wohl dorthin gekommen sind?
Als ich an der Reihe bin, bekomme ich zu hören, dass die Angestellte glaubt, im günstigsten Fall bekäme ich meinen Rucksack in zwei Tagen, es könnte aber auch eine Woche vergehen und in seltenen Fällen würde Gepäck auch schon mal überhaupt nicht mehr auftauchen….
Deprimiert und ohnmächtig, will ich erst einmal einige kanadische Dollar einwechseln. Allerdings gibt es hier keine Wechselstube! Den Bankautomaten übersehe ich, daher stehe ich zunächst mal ohne kanadisches Geld da.
Ich denke, dass ist kein Problem, da ich mich anderen anschließen will um mir ein Taxi zu teilen. Taxi? An diesem Flughafen steht kein Taxi, vermutlich wegen unserer dreistündigen Verspätung !
Vor dem Flughafengebäude komme ich mit zwei Österreichern ins Gespräch. Außer einem Paddel fehlt den Beiden nichts von ihrer Ausrüstung. Sie wollen sich mit ihrem Schlauchboot zum Oberlauf des Hart River einfliegen lassen und über Hart und Peel River nach Inuvik paddeln, eine Strecke von 900 Kilometern. Da auch ich eine Strecke des Hart befahren will, kommen wir leicht ins Gespräch. Zufällig wollen sie auch ins selbe Hostel wie ich.
Bald kommt ein Bus, der in die Stadt fährt. Die Fahrerin hat kein Wechselgeld, daher können wir umsonst mitfahren!
Obwohl meine neuen Freunde ihren Proviant in Whitehorse kaufen wollen, ist ihr Gepäck sehr umfangreich. Aber zu dritt schaffen wir es problemlos, die zwei Blocks zum Hostel „Hide on Jeckel“ mit dem Gepäck zurückzulegen, schließlich habe ich ja nur noch bescheidene 5 kg dabei. Für ein Bett in einem 4-Personen Zimmer zahle ich 25 kanadische Dollar, die ich aber erst einmal von einem Bankautomaten in der Stadt mit meiner EC-Karte abhebe.
Das kleine Holzhaus wirkt von außen ziemlich unscheinbar, aber innen strahlt es eine gemütliche Atmosphäre aus. Es gibt eine große Auswahl an Büchern für die Gäste, sowie kostenloses Internet und eine Gemeinschaftsküche.
Nachdem ich mich eingerichtet habe, schlage ich den Weg ins Stadtzentrum ein. Zwar zeigt das Thermometer 15 Grad an, der kalte Wind lässt die Temperatur aber viel niedriger erscheinen. Dazu erinnert der graue Himmel eher an Herbst als an Hochsommer. Das kann ja ein kaltes Vergnügen werden, wenn ich meine Tour fast am Polarkreis starte!
Zunächst habe ich den Eindruck, dass hier in der Provinzhauptstadt die „Bürgersteige hochgeklappt sind“. Kaum ein Mensch ist auf der Straße und die zahlreichen Motels wirken grau und heruntergekommen. Allerdings erscheint die Main Street schon etwas belebter und einladender.
Der dortige Bücherladen, Mac’s Bookstore ist außerordentlich gut sortiert und lädt zum Schmökern in zahlreichen Büchern über den Yukon ein, die einen guten Vorgeschmack auf meine Tour bieten. Nachdem ich einige Lebensmittel eingekauft und eine Pizza gegessen habe, gehe ich zurück zum Hostel wo ich mich früh schlafen lege.
Bereits gegen 6 Uhr am nächsten Morgen ist es hell. Ich genieße eine heiße Dusche, dann mache ich es mir in der Gemeinschaftsküche gemütlich, wo für die Gäste gratis Kaffee zur Verfügung steht. Die Österreicher sind auch schon da. Offenbar sind die Beiden erfahrene Abenteurer, einer von ihnen hatte sogar schon einmal versucht den Denali in Alaska zu besteigen, der den Ruf als „kältester Berg der Welt“ genießt.
Dann rufe ich am Flughafen an, da ich darauf brenne zu erfahren, wo mein Rucksack ist. Ortsgespräche können aus dem Hostel umsonst geführt werden.
Mir fällt ein Stein vom Herzen, als ich erfahre, dass mein Gepäckstück durchaus in der Maschine war, aber nicht in Whitehorse ausgeladen wurde. Erst bei der nächsten Landung in Fairbanks/ Alaska wurde festgestellt, dass sich noch Gepäck das für Whitehorse bestimmt war, an Bord geblieben ist. Ich erfahre, dass die Sachen mit einem Bus noch heute hierher gefahren werden sollen, und voraussichtlich am Nachmittag ankommen.
Den Tag möchte ich nicht einfach so verstreichen lassen und nütze die Gelegenheit zu einer kleinen Wanderung in die Umgebung von Whitehorse. Das Wetter ist ganz anders als gestern. Obwohl es noch kühl und windig ist, scheint die Sonne aus einem klaren blauen Himmel. An dem alten Schaufelraddampfer SS Klondike vorbei, dessen Geschichte auf Tafeln erklärt wird, gehe ich zur Brücke über den Yukon.
Bis in die fünfziger Jahre verkehrte das Schiff noch regelmäßig auf dem großen Fluss.

                                            Am Yukon in Whitehorse

Nachdem ich den breiten, rasant fließenden Yukon überquert habe, folge ich schmalen Pfaden durch die dichten Fichten- und Aspenwälder an seinem Ufer. Immer wieder sehe ich einige gelbe Hörnchen, die durch schnarrende Geräusche auf sich aufmerksam machen. Nur eine halbe Stunde vom Stadtzentrum entfernt, ist es bereits sehr ruhig.
Zu meiner Verwunderung gelange ich zu einem Staudamm. Durch die Kraft des Yukon wird Whitehorse mit Elektrizität versorgt. Eine hölzerne Fischtreppe (offenbar die längste der Welt), ermöglicht den Lachsen dennoch den Aufstieg über das Hindernis.
Hinter dem Staudamm schießen die Wassermassen mit erstaunlicher Gewalt zurück ins Flussbett. Hier möchte ich nicht Boot fahren!
Auf dem Stausee Lake Schwatka liegen zahlreiche Wasserflugzeuge und Boote. Die Südhänge des Sees sind so trocken, dass auf ihnen kein Wald wächst. Daher erlauben die Gras bewachsenen Steilhänge schöne Ausblicke. In die Hügel der Umgebung liegen noch eine ganze Reihe weiterer kleiner Seen eingebettet. Einmal sehe ich einen großen Greifvogel auf der Kante eines Grashangs sitzen. Aber als ich mich mit dem Teleobjektiv anschleichen will, wird er von einem Kolkraben vertrieben und ich habe das Nachsehen.
Zahlreiche Pfade, die zum Teil auch von Mountainbikes genutzt werden, durchziehen die Hügel und erlauben schöne Rundwanderungen. Bei einem Parkplatz beobachte ich längere Zeit zwei hübsche Streifenhörnchen, die offenbar an Menschen gewöhnt sind und sich daher aus der Nähe fotografieren lassen.

                                                               Streifenhörnchen

Zurück nach Whitehorse gelange ich über einen Radweg auf dem anderen Ufer des Yukon. Der weitläufige Robert Service Campingplatz wird von vielen Kanufahrern mit ihren Booten benutzt.
Nachdem ich im Hostel einige Brote als Mittagsmahlzeit gegessen habe, gehe ich in die Stadt. In Mac’ s Bookstore nehme ich die von mir reservierten topographischen Karten im Maßstab 1:250.000 in Empfang und stöbere noch ein wenig herum. Zahlreiche Bücher beschäftigen sich mit Grizzlybären und den von den braunen Riesen ausgehenden Gefahren.
In dem benachbarten, großen Outdoorladen Coast Mountain Sports, kann man sich mit allem versorgen, was man für die Wildnis benötigt.
Nachdem ich mir den Laden angesehen habe, laufe ich bis zum Ortsende, da ich nach einem guten Platz zum Trampen Ausschau halten will. Allerdings ist Whitehorse ziemlich weitläufig, daher gebe ich schließlich auf. Wahrscheinlich wird der schwierigste Teil des per Anhalter fahrens das Verlassen der Stadt werden !
Die Sonne lädt mich ein, ein Bier in einem Restaurant an der Straße zu trinken. Allerdings muss ich erfahren, dass Bier hier nur zusammen mit Essen serviert wird!
Als ich verspreche, mein Glas schnell auszutrinken, werde ich aber doch bedient!
Anschließend werfe ich noch einen Blick in das weitläufige Besucherzentrum des Yukon Territoriums. Dort erfahre ich, dass mir tatsächlich nur das Trampen bleibt, um nach Norden zu gelangen. Zwar fährt manchmal ein Bus bis Dawson City, aber nicht morgen!
Zurück im Hostel rufe ich wieder beim Flughafen an. Mit der Ankunft des Gepäcks am Nachmittag wird es nichts, erst im Lauf der Nacht soll der Bus eintreffen!
Da am nächsten Morgen schon früh ein Flug abgefertigt werden soll, ist das Personal dann damit beschäftigt. Daher soll ich meinen Rucksack erst am späten Morgen abholen. Das kommt für mich natürlich nicht in Frage, also verabrede ich, dass ich bereits bei Öffnung des Schalters um 5.30 meinen Rucksack in Empfang nehmen kann.
Am nächsten Morgen stehe ich pünktlich am Schalter, die Frau mit dem Schlüssel für den Gepäckraum kommt jedoch eine halbe Stunde später….
Kein Problem, ich kann meinen Rucksack in Empfang nehmen und noch heute Richtung Norden starten.
Nachdem ich mich von meinen neuen Bekannten im Hostel verabschiedet habe, schultere ich meinen Rucksack, und die Reise Richtung Norden kann beginnen!
35 kg sind schon ein ziemliches Gewicht, aber da mein Bergans Rucksack, der über 130 l Volumen verfügt, eine gute Lastverteilung gewährt, komme ich mit ihm zurecht. Viel schwerer dürfte er aber nicht mehr sein!
Ich denke wenn ich an einer Tankstelle die Leute direkt anspreche und um einen Lift bitte, habe ich die größte Chance mitgenommen zu werden. Leider tankt zu dieser frühen Stunde an einem Samstag offenbar noch niemand…
Mir ist klar, dass das Verlassen der engeren Umgebung der Stadt wahrscheinlich ziemlich schwierig werden wird, daher winke ich ein Taxi heran, dass zufällig vorbeikommt. Ich frage den Fahrer, welchen Platz er für günstig hält, um jemanden zu finden, der nach Norden fährt. Der Alaska Highway, der Whitehorse weiträumig umgeht, sei der beste Ort hierfür, entgegnet er. Schnell sind wir uns über den Preis einig, und für 5 Dollar setzt er mich an der Fernstraße ab.
Ich stehe noch keine 5 Minuten als ein Auto hält. Sein Fahrer, ein Amerikaner mittleren Alters aus Kansas, ist unterwegs zu seinem neuen Job in Anchorage. Zwar war er nie zuvor in Alaska, freut sich aber sehr darauf den nördlichsten Bundesstaat der USA kennen zu lernen.
Leider zweigt meine Route, der Klondike Highway schon nach wenigen Kilometern von der Straße nach Alaska ab. Nun ja, Whitehorse liegt endgültig hinter mir, und meiner Erfahrung nach sind die Chancen mitgenommen zu werden an einer einsamen Straße in der Wildnis ziemlich gut.
Und richtig, wieder dauert es nur ein Paar Minuten, bis eine junge Frau hält. Ihr Auto sieht aus, als ob sie darin wohnt. Tatsächlich bestätigt sie meinen Eindruck! Zwar will sie sich irgendwann wieder eine Wohnung in Whitehorse suchen, aber den Sommer über schläft sie im Auto. Die Frau arbeitet auf einer Ökofarm in der Nähe, daher kann sie mich nur wenige Kilometer mitnehmen, bis Takhini Hot Springs. 
Obwohl ich mich immer noch im engeren Dunstkreis der Provinzhauptstadt befinde, ist es erstaunlich, wie wenig Verkehr über die Straße rollt. Immer wieder tut sich minutenlang überhaupt nichts und die Stille des Waldes hüllt mich ein. Bis jetzt bin ich gut vorangekommen, daher bin ich optimistisch bald mitgenommen zu werden. Schließlich zähle ich sogar die passierenden Autos, um die Verkehrsdichte innerhalb einer Stunde zu bestimmen….
Nach etwas mehr als einer Stunde Wartezeit hält ein großer Van mit riesigem Bootsanhänger. „Could you give me a lift north“ frage ich die Fahrerin und bin überrascht als „Klar, steig ein“ als Antwort zurückkommt. Marion aus Freiburg hat Sport in Köln studiert. Als sie einen Aushang am Schwarzen Brett ihrer Hochschule las, dass ein deutsches Unternehmen im Yukon Kanu- Guides für die Sommersaison sucht, war sie gleich Feuer und Flamme. Schließlich hatte sie auch ein Jahr in Norwegen „Friluftsliv“ studiert, ein Fach bei dem alle möglichen Outdoorsportarten und generell das Leben in der freien Natur gelehrt werden. Bereits seit Mai ist Marion jetzt hier. In erster Linie begleitet sie Kanugruppen auf dem Yukon River, betätigt sich aber auch häufig als Fahrerin. So ist sie jetzt dabei eine Gruppe abzuholen, die einige Tage lang den Pelly River runter gefahren ist. Der Job macht ihr Spass, obwohl es so scheint, als würde die Abenteuerlust der jungen Deutschen ganz schön ausgenutzt. Die Guides müssen praktisch rund um die Uhr arbeiten, erhalten dafür aber nur einen Bruchteil der Entlohnung, die ein Kanadier für dieselbe Tätigkeit erhalten würde. Zudem scheint ihr deutscher Chef ein ziemlich unangenehmer Mensch zu sein, daher will Marion noch heute zusammen mit einem Kollegen kündigen!
Die Weite der Landschaft die vom bequemen Sitz des Vans aus an mir vorbeizieht ist beeindruckend. Dunkle, spitzkronige Fichtenwälder sind mit vielen Aspen durchsetzt. Immer wieder gelangen wir durch weite Waldbrandgebiete, die sich nur langsam wieder bewalden. Einmal sehen wir im Gebüsch etwas abseits der Straße ein hundeartiges, graufarbenes Tier. Für einen Wolf ist es zu klein und für einen Fuchs zu groß. Es ist ein Coyote. Die kleinen Cousins der Wölfe kommen nur im südlichen Yukon vor, weiter im Norden nicht.
Über eine weite Strecke verläuft der Highway parallel zum Yukon. Oberhalb der berühmten Five-Finger-Rapids halten wir an einem Aussichtspunkt, der einen schönen Blick über den Fluss bietet. Auch wenn ich lange den Eindruck hatte, dass wir alleine auf der Straße sind, gibt es hier etliche Touristen, alles Deutsche, was wir sofort hören…
Der Norden Kanadas scheint es meinen Landsleuten angetan zu haben, und auch Marion bestätigt, dass die größte Touristengruppe aus Deutschland kommt, und es auch viele Ausgewanderte im Land gibt.
Als ich ihr von meinem Vorhaben erzähle, ist sie sehr interessiert. Zwar hat sie am Dempster Highway noch nie eine Tour gemacht, aber von Transfers kennt sie die Gegend und ist von der Landschaft begeistert. Allerdings hält sie es für ziemlich leichtsinnig, dass ich weder Bärenspray noch Satellitenhandy für Notfälle dabei habe.
Eine Gruppe von Kunden, die auf dem Peel River unterwegs war, verlor ihre Boote, als ein Hochwasser nachts die Insel überschwemmte, auf der sie zeltete. Die Leute mussten mit dem Hubschrauber ausgeflogen werden, was natürlich ein Vermögen kostet…
Wir unterhalten uns gut, daher verfliegt die Zeit in Windeseile. Bald haben wir Pelly Crossing erreicht, wo eine Brücke über den Pelly River führt und ein Indianerdorf liegt. Ein wenig wundere ich mich ja schon über das Schild am Ortseingang „Wir wollen keine Drogendealer hier“. So etwas würde man ja eher irgendwo in einem Großstadtslum vermuten!
An der Tankstelle vorbei marschiere ich über die Brücke, die den weiten Pelly River überspannt. Ein Zeltplatz an seinem Ufer scheint ein beliebter Endpunkt für Kanufahrten zu sein.
Es kommen relativ viele Fahrzeuge vorbei, allerdings merke ich schnell, dass es sich meist um Einheimische handelt. Es scheint fast, als würden sie ständig die Dorfstraßen rauf und runter fahren, denn nach einiger Zeit habe ich realisiert, dass ich immer wieder die gleichen Autos sehe!
Nach einer Stunde hält ein Wagen um mich mitzunehmen. Es ist Etienne aus Quebec, mit dem ich mich gestern Abend im Hostel unterhalten hatte!
Offenbar haben ihn meine Erzählungen vom Dempster Highway dazu angeregt nach Norden zu fahren. Allerdings hat er Kopfschmerzen und will daher heute nicht mehr sehr weit. Am Abzweig zum Wolf Creek Campground ein Stück hinter Stewart Crossing, wo er übernachten möchte, lässt er mich raus.
Jetzt bin ich tatsächlich mitten in der Wildnis gelandet. Um mich herum nichts als dichte Nadelwälder. Immerhin, die Sonne scheint, fast würde ein T-Shirt ausreichen.
Ich bin ganz zufrieden wie weit ich bisher gekommen bin, daher warte ich recht entspannt auf den nächsten Lift. Zwar ist der Verkehr noch dünner geworden, aber schon nach 20 Minuten hält ein Pick-up. Dave, 44 ist auf dem Weg nach Dawson City, wo er lebt. Als ich von meinen Plänen erzähle ist er sehr interessiert, da er selber auch schon etliche Wildnistouren unternommen hat, unter Anderem eine Durchquerung der Banks Insel und zu Fuß von Coppermine zum Eismeer. Abgesehen davon ist er auch beruflich viel draußen. Als Prospektor sucht er Rohstofflagerstätten. Wenn diese erfolg versprechend zu sein scheinen, verpachtet oder verkauft er seinen Claim. Ein Claim ist ein Stück Land, das jedermann abstecken darf um nach Rohstoffen zu suchen. Die Anmeldung bei der dafür zuständigen Behörde kostet nur wenige Dollar. Während er die ersten Jahre in diesem Geschäft lange Durststrecken zu überstehen hatte, läuft es offenbar seit einiger Zeit ganz gut für ihn. In der Regel werden seine Leute mit dem Hubschrauber in der Wildnis abgesetzt, und auch aus der Luft versorgt. Sie entnehmen Gesteinsproben, die anschließend im Labor analysiert werden.
Beim Wandern hat er auch nie Bärenspray dabei gehabt, aber wenn seine Leute in der Wildnis sind, führen sie Pfefferspray mit. Vor allem gegen aggressive Schwarzbären mussten sie es schon einige Male einsetzen. „Die Halbwüchsigen sind manchmal wie junge Punks, sie wollen Krawall machen, ohne wirklich gefährlich zu sein“.
Als wäre er bestellt, sehen wir einen etwa dreijährigen Schwarzbären im Gebüsch an der Straße, als wir uns über Bären unterhalten!
Inzwischen wirken die Bäume schon deutlich kleiner, und die Aspen tragen zum Teil bereits gelbe Blätter, während sie weiter im Süden noch völlig grün waren. Dave erzählt, dass die Herbstfärbung am Dempster Highway, voll im Gange sei. Außerdem erfahre ich, dass dies bisher der nasseste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen ist! Ich hoffe nur, dass der Frühherbst besser wird…
Schließlich erreichen wir gegen 17 Uhr den Beginn des Dempster Highway, wo Dave nach Dawson City abbiegt. Eine bebilderte Informationstafel erläutert Details zu der Piste.
Der Dempster Highway führt über 720 Kilometer nach Inuvik im Mackenzie Delta. Erst nach 600 Kilometer gelangt man zur ersten, kleinen Indianersiedlung. Dazwischen gibt es nur eine Tankstelle auf der Hälfte der Strecke und einige Campingplätze. Unmittelbar abseits der Straße beginnt die unberührte Wildnis.
Alle Touristen halten hier, daher rechne ich mir gute Chancen aus, jemanden zu finden, der mich weiter mitnimmt. Und tatsächlich, schon nach kurzer Zeit hält ein deutsches Paar an der Informationstafel. Sie fahren einen großen Leihcamper, daher wage ich nicht zu hoffen, dass sie mich an Bord nehmen. Meiner Erfahrung nach nehmen Wohnwagenfahrer höchst selten Anhalter mit. Aber da ich die Beiden direkt anspreche, laden sie mich tatsächlich ein, bei ihnen mitzufahren!
Auf der gut ausgebauten Schotterpiste rollen wir mit nur 60 Stundenkilometern durch eine atemberaubende Landschaft, die immer schöner wird. Zwar sind jetzt Wolken aufgezogen und es regnet mitunter, aber wenn die Sonne zurückkommt strahlt die Natur förmlich in gelben und roten Farben. Sogar ein Regenbogen erscheint über den schroffen Granitbergen der Tombstone Mountains.
Stets halten wir nach Wild Ausschau, aber bis auf ein Stachelschwein am Straßenrand erspähen wir nichts. Dass die Straße nicht ganz ohne Tücken ist, merken wir, als ein entgegenkommendes Auto einen Stein hochwirbelt, der in der Windschutzscheibe des Campers landet, und ein Loch im Glas hinterlässt! Glücklicherweise haben die Beiden eine Versicherung für solche Fälle abgeschlossen.
Nach 70 Kilometern haben wir den Zeltplatz des Tombstone Mountain Nationalparks erreicht. Da das kleine Informationszentrum nicht mehr besetzt ist, kann sich jeder selbstständig einen Zeltplatz auf dem weitläufigen Waldgelände suchen, durch das ein Bach fließt. Schnell habe ich eine Kiesplattform mit Holztisch- und Bänken gefunden, der typischen Ausstattung auf nordamerikanischen Campingplätzen. Kaum habe ich den Platz entdeckt, als Greg und Patricia erscheinen. Die beiden haben den langen Weg von Seattle hierher in ihrem Subaru zurückgelegt. Der Campingplatz scheint voll zu sein, daher fragen sie ob sie sich den Platz mit mir teilen können. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, zumal sie die Kosten übernehmen, in dem sie einige Dollar in einen Umschlag legen und in eine Box werfen.
Das Paar ist ausgesprochen unterhaltsam und humorvoll. Schließlich ist er zwar ernsthafter Wissenschaftler hat aber ein Buch mit einem viel versprechendem Titel geschrieben „Evolutionsbiologie für Dummies“! Das setzt wahrscheinlich einen gewissen Sinn für Humor voraus…
Großzügig werde ich zu Whisky und Bier eingeladen. Zwar regnet es mittlerweile leicht, aber unter den Bäumen bleiben wir relativ trocken. Als wir uns gegen 23 Uhr in unsere Schlafsäcke zurückziehen ist es immer noch hell.
Früh am Morgen schlafen meine neuen Freunde noch. Nachdem ich ein Brot mit Erdnussbutter gegessen habe, baue ich mein Lager ab, und stehe gegen 8 Uhr wieder an der Straße. Offenbar viel zu früh, denn lange Zeit kommt kein Auto an mir vorbei.
Es ist dunstig, sehr kühl und ungemütlich. Zwei Männer aus Ontario unternehmen Fernglas bestückt ihren Morgenspaziergang auf der Piste und unterhalten sich einige Zeit lang interessiert mit mir. Zu allem Überfluss beginnt es dann auch noch zu regnen. Aber wozu habe ich denn wasserfeste Paddelsachen dabei? So geschützt bleibe ich zwar trocken, dennoch wird es mit der Zeit ziemlich kalt. Nach über einer Stunde hält schließlich ein Camper, welch Überraschung, es ist das Paar, das mich schon gestern Abend mitgenommen hatte!
Die Straße schraubt sich nach oben in die baumlose Tundra. Teilweise ist es sehr neblig, keine Spur mehr von der gestrigen Farbenpracht. Wir sehen dreimal Schneehühner an der Straße und einige Pferde, auf die schon vorher Verkehrsschilder aufmerksam machten. Zu meiner Überraschung werden hier offenbar organisierte Reitausflüge angeboten.
Schließlich führt die Straße aus den Bergen heraus, und wir gelangen in das Fichten bestandene Tal des Blackstone Rivers. Glücklicherweise hat der Regen mittlerweile aufgehört, daher steht meinem Aufbruch nichts mehr im Weg. Kurz bevor sich der Blackstone wieder vom Dempster Highway entfernt, verlasse ich das nette Paar bei Kilometer 145 und schlage den Weg zum Fluss ein. Ich höre es zwar noch einmal hupen, denke mir aber nichts dabei. Erst später wird mir klar, dass ich meinen Hut im Camper liegen gelassen habe. Schade, aber jetzt nicht mehr zu ändern. Bei dem bewölkten Himmel ist erst mal sowieso kein Sonnenschutz notwendig….

Mit dem Packraft auf den Flüssen des Yukon

Dann stehe ich am Blackstone. Der Fluss scheint ziemlich viel Wasser zu führen und fließt mit rascher Strömung dahin. Bald habe ich ein gutes Plätzchen zum Einsetzen meines Miniboots gefunden, wo das Ufer nicht zu steil ist, und ich zunächst außerhalb der Strömung bin. Zum Aufblasen des nur 2 kg schweren Packrafts Yukon Yak der amerikanischen Firma Alpacka Rafts benötigt man keine Pumpe. Statt dessen verbinde ich eine Art „Müllsack“ per Gewinde mit dem Boot. Dann geht es darum möglichst viel Luft einzufangen und in das Packraft zu pressen. Dabei hilft es natürlich, wenn man den Sack in den Wind hält, aber auch bei Windstille kann man mit etwas „herumwirbeln“ schon eine ganz nette Luftmenge einfangen. Profis schaffen es in nur 2 Minuten die eine Luftkammer des Boots zu füllen, ich benötige etwa 10. Da es kein Ventil gibt entweicht immer wieder etwas Luft, daher muss man das Aufpumpen abschließen, indem man einige Luftzüge durch das separate Mundventil bläst.
Der Platz im Boot ist so bemessen, dass man zwar bequem darin sitzen kann, aber kein Platz für Gepäck vorhanden ist. Daher schnalle ich meinen 30 kg Rucksack mit vier Spannriemen vorne auf die Wülste des Bugs. Natürlich habe ich den Inhalt durch wasserdichte Beutel geschützt. Zusätzlich packe ich den Rucksack aber noch in große Müllsäcke ein. Um den direkten Kontakt mit dem kalten Wasser durch den dünnen Boden des Packrafts zu vermeiden, verwende ich meine leichte Luftmatratze als Sitzunterlage. Die Matte habe ich mit dem Boot gekauft, daher passt sie exakt in das Packraft.
Das Boot ist beladen natürlich extrem kopflastig, daher muss ich darauf achten, hinten ausreichend abzustützen, sonst lernt mein Rucksack schon jetzt das Tauchen!
Nachdem ich Boot und Gepäck vorbereitet habe, muss ich noch mich selber paddelbereit machen. Dazu verpacke ich meine Füße in Neoprensocken. Ich will vermeiden, dass die Stiefel durchnässt werden, daher trage ich beim Paddeln nur die Socken. Darüber kommt eine wasserdichte Latzhose mit Neoprenabschlüssen. Diese sind so eng, dass es jedes Mal ein größerer Akt ist, die Hose an- und auszuziehen. Oben trage ich T-Shirt, ein dünnes Fleece, einen alten Faserpelz und die wasserdichte Paddeljacke, die am Hals mit einem engen Neoprenbund abschließt. Darüber ziehe ich meine Schwimmweste. Zu guter letzt schütze ich meine Hände mit Neoprenhandschuhen.
Solchermaßen verkleidet komme ich mir wie ein dicker Bummi vor, aber die Wassertemperatur liegt bei nur 7 Grad, daher halte ich meine Montur für angebracht. Abgesehen davon ist es immer noch ziemlich kalt, so dass ich trotz der vielen Bekleidungsschichten nicht ins Schwitzen komme.
Nachdem ich mein vierteiliges Doppelpaddel zusammengebaut habe, lege ich ab!
Zwar habe ich das Packraft zu Hause in Marburg auf der Lahn getestet, aber das ist die Jungfernfahrt in wirklich strömendem Wasser.
Schnell wird mir klar, dass ich Schlagseite habe. Offenbar ist der Rucksack nicht richtig ausbalanciert. Zwar ist es umständlich sofort wieder an Land zu gehen, aber besser jetzt das Gepäck neu justieren, als in der ersten kleinen Stromschnelle zu kentern!
Doch schließlich bin ich endgültig bereit für das Abenteuer Blackstone River im Packraft. Ich habe großen Respekt vor dem schnellen, kalten Fluss. Daher paddele ich mit voller Konzentration. Diese ist auch notwendig, da sich das Gewässer häufig verzweigt, und es wichtig ist, den wasserreichsten Arm zu erwischen. Trotz der recht hohen Wasserführung ist der Fluss aufgrund der Verzweigungen oft ziemlich flach. Obwohl das Packraft kaum Tiefgang hat, kann es leicht zu Grundberührungen kommen. Das Boot wurde aus dem Kunststoff Urethan hergestellt und ist daher ziemlich robust. Aber häufig über Steine zu scheuern ist auch für das beste Material eine Herausforderung!
Es gibt hier zwar keine Stromschnellen mit hohen Wellen, dafür aber scharfe Kurven die häufiges Manövrieren erfordern. Unbeladen ist das kleine Boot zwar extrem wendig, dies sieht mit meinem schweren Rucksack aber etwas anders aus. Da das Packraft außerdem sehr langsam ist, ist vorausschauendes Fahren unumgänglich.
Dann ist es soweit, in einer engen Linkskurve manövriere ich nicht rechtzeitig zur Innenseite und werde von der Strömung in Richtung des Ufers gepresst. Das wäre an vielen Stellen kein großes Problem, allerdings hängt hier eine Weide ins Wasser!
Ich paddle wie verrückt, aber es nützt nichts, die Strömung ist zu stark und der Busch im Wasser kommt immer näher.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sind die Weidenzweige unnachgiebig und katapultieren mich ins Wasser, oder die biegsamen Äste geben unter dem Gewicht des von der Strömung gegen sie gepressten Boots nach und lassen mich durch.
Ich habe Glück. Es schiebt und kracht, dann bin ich durch ohne im Wasser gelandet zu sein!
Zwar wäre bei einer Kenterung wahrscheinlich nicht viel passiert, ich bin ja auf so einen Fall vorbereitet, dennoch sitzt mir der Schock tief in den Knochen!
Daher lege ich jetzt vor jeder kritischen Stelle rechtzeitig an, und ziehe das Boot zweimal im flachen Wasser an einer Engstelle vorbei, bevor ich wieder einsteige.
Das wäre zwar beide Male eigentlich nicht nötig gewesen, aber ich bin nun übervorsichtig.
Zwar hat der Regen für heute offenbar tatsächlich aufgehört, aber es ist weiterhin windig und sehr kühl. Da der Fluss meine ständige Konzentration erfordert konnte ich bisher gar nicht so richtig die Umgebung in mich aufnehmen. Häufig ragen Kalkberge mit bleichen Schuttmassen über dem bewaldeten Tal auf.
Am ersten Tag will ich es langsam angehen lassen, daher schlage ich schon am frühen Nachmittag mein Lager auf. Das GPS zeigt, dass ich nur etwas mehr als 8 Kilometer in direkter Linie zurückgelegt habe. Bedingt durch die zahlreichen Windungen ist die tatsächliche Strecke aber erheblich länger gewesen.
Hinter der dichten Fichtengalerie am Ufer erstreckt sich ein Weidengürtel mit einigen offenen Grasflächen, wo ich mein Zelt aufschlage.
Nachdem ich Spaghetti mit Carbonarasauce gegessen habe, breche ich mit Kamera und Fernglas zu einem Erkundungsgang auf. Der dichte Schwarzfichtenwald ist im Unterwuchs mit Weiden und Zwergbirken bestanden. Zwar ist diese Vegetation nicht undurchdringlich, aber man kann auch nicht so einfach dahinschlendern. An vielen Stellen entdecke ich Elchlosung, große, braune zylinderförmige Pillen, aber es gelingt mir nicht, die Giganten des Yukon aufzuspüren. Lediglich ein Schneehase steht vor mir auf und ergreift die Flucht und ein gelbes Eichhörnchen schimpft über meine Anwesenheit. Leider komme ich nicht sehr weit, da ich schon bald an einen Seitenarm des Blackstone gelange. Das Packraft habe ich natürlich nicht dabei! Also bleibt mir nichts übrig als den Rückweg anzutreten. Dabei entdecke ich einen Lagerplatz mit Stangeneinzäunung für die Pferde, Bänken, Eimern und einem in einen Baum hochgezogenen Sack. Wahrscheinlich dienen die Pferde die ich am Dempster Highway gesehen hatte, auch als Transporttiere für Jagdausflüge. Ich tippe darauf, dass von dem Lager aus Elche gejagt werden.
Zwar klart es gegen Abend etwas auf, so dass sich ich die bizarren Kalkgebilde auf einem Berg am anderen Flussufer betrachten kann, aber es ist nach wie vor windig, kalt und ungemütlich.

                                                  Abend am Blackstone

Daher ziehe ich mich relativ früh in den Schutz meines Zeltes zurück. Hoffentlich ist morgen das Wetter besser!
Leider bewahrheitet sich mein frommer Wunsch nicht. Als es hell wird, ist es sehr windig und der Regen prasselt gegen die Zeltwände. Also rühre ich erst mal mein extra energiereiches Nussmüsli mit Milchpulver an, und esse die 200-300 Gramm, die ich für die Morgenmahlzeiten an den 16 geplanten Tourtagen vorgesehen habe.
Als der Regen nachlässt, raffe ich mich dazu auf, mein Lager abzubauen und mache mich „paddelfertig“. Bei dem kühlen, ungemütlichen Wetter mit Temperaturen um die 5 Grad ist es ziemlich schwierig mich zum Boot fahren zu motivieren. Mit den Paddelsachen bin ich zumindest recht gut gegen die Kälte geschützt, auch als etwas später erneut Regen vermischt mit Schnee niedergeht.
Heute fühle ich mich schon etwas sicherer im Boot und folge stets dem wasserreichsten Arm, auch wenn dort die Fließgeschwindigkeit am höchsten ist, und zum Teil enge, kaum einzusehende Kurven zu meistern sind. Natürlich darf die Aufmerksamkeit nie nachlassen, denn es kann jederzeit ein Baum quer in der Strömung liegen, dem es auszuweichen gilt. Unter Umständen muss ich rasch ans Ufer gehen, wenn ein Hindernis die ganze Flussbreite versperrt. Aber alles geht heute gut, nur einmal gehe ich vor einer Kurve an Land und ziehe das Packraft ein Stück weit durch das niedrige Wasser am Ufer.
Ich bin froh, dabei die Neoprensocken an den Füßen zu tragen. Den ganzen Tag mit kalten, nassen Stiefeln im Boot zu sitzen ist bestimmt kein Vergnügen. Es wundert mich eigentlich nicht, dass ich bei dem Wetter kein Wild am Ufer zu sehen kriege. Aber immerhin stößt einmal ein Fischadler in einiger Entfernung vor mir ins Wasser, ich kann aber nicht erkennen, ob er einen Schuppenträger erwischt hat.
Bis gegen Mittag sind die Ufer von Bergen mit relativ sanften Formen eingefasst, die oft von hellem Gesteinschutt bedeckt sind.
Kaum zu glauben, am Nachmittag zeigt sich die Sonne! Die wolkenverhüllten Berge kommen zum Vorschein, und die vom hellen Licht beschienenen Aspen leuchten im herbstlichen Gelb. Schlagartig wird es wärmer, und zum ersten Mal kann ich die Tour richtig genießen. Zwar liebe ich es bei jedem Wetter draußen zu sein, aber der heutige Morgen hatte schon etwas von Masochismus an sich! Ein Labyrinth sich verzweigender Arme stellt noch einmal eine Herausforderung dar. Obwohl der Fluss eigentlich viel Wasser führt, verteilt es sich hier auf zu viele Seitenarme, so dass ich trotz des geringen Tiefgangs meiner Nussschale immer wieder auf dem Trockenen sitze. Dann muss ich das Packraft ziehen und schieben bis ich wieder mehr Wasser unter dem Boden des Bootes habe. Bestünde das Boot aus weniger robustem Material wären schon die ersten Flickaktionen notwendig!
Am späten Nachmittag, nach 26,5 Kilometern zurückgelegter Luftlinie, wie mir das GPS zeigt, finde ich einen idyllischen Lagerplatz mit einfachem Zugang zum Ufer.
Die Sonne verleitet mich sogar zum Waschen und Rasieren, woran ich bei den ungemütlichen Bedingungen am Morgen keinen Gedanken verschwendet habe. Nachdem ich meine Spaghetti Portion im Bauch habe, breche ich zu einer Erkundungstour landeinwärts auf.
Diesmal bin ich überzeugt davon, auf keine Seitenarme zu treffen. Das ist zwar richtig, dennoch stehe ich schon bald vor einem Hindernis: Ein breiter Bach, der kurz darauf in den Blackstone mündet ist zu tief um ihn zu durchwaten, daher fällt mein geplanten Ausflug zu einem Berg der ein Stück weit landeinwärts aufragt, buchstäblich ins Wasser.
Allerdings gefällt mir auch die Umgebung meines Lagerplatzes recht gut, so dass ich einige Fotos mache.


Am nächsten Morgen empfängt mich wieder das bereits gewohnte, ungemütliche Wetter. Leichtes Schneegrieseln fällt vom Himmel und es ist ziemlich kalt. Daher trage ich heute zunächst meine Sturmhaube beim Paddeln. Ein Großteil der Körperwärme entweicht über den Kopf, daher ist es bei Kälte wichtig, den Kopf gut einzupacken.
Immer wieder ragen steile Klippen in engen Kurven auf. Um nicht von der Strömung gegen die Wände gedrückt zu werden, stelle ich jeweils den Bug meines Bootes schräg, und lasse mich so von der Strömung durch die Kurven tragen.
Zum ersten Mal auf dieser Tour sehe ich einen Weißkopfseeadler, den Charaktervogel der amerikanischen Gewässer. Er fliegt einige Male vor mir auf, um sich jeweils ein Stück entfernt wieder in einem Baum niederzulassen.
Manchmal geben die Wolken kurze Blicke auf die mit einer dünnen Schneeschicht bedeckten Berge ringsherum frei.
Heute will ich meine Fahrt auf dem Blackstone River beenden, um dann landeinwärts etwa 13 Kilometer zum Hart River zu laufen. Der Hart verläuft in etwa parallel zum Blackstone, nähert sich aber nur an einer Stelle so dicht meinem Fluss. Daher will ich auf keinen Fall diese günstigste Verbindungsroute verpassen, die in einem breiten Tal zwischen zwei Bergketten verläuft.
Schon in Deutschland habe ich aus dem Programm Google Earth, in dem es zoombare Luftbilder von der ganzen Welt gibt, die Koordinaten für den Beginn der Route gezogen und in mein GPS-Gerät eingegeben. Daher halte ich heute Morgen einige Male am Ufer um zu prüfen, wie dicht ich mich meiner geplanten Aussetzstelle schon genähert habe.
Bereits gegen Mittag bin ich am Ziel. Eine weite Sand- und Kiesbank bietet einen idyllischen Lagerplatz, zudem durchbricht jetzt die Sonne mitunter die Wolken.

                 
Nachdem ich gekocht habe, breche ich zu einem Erkundungsgang auf. Der Nebenarm hinter meinem Lager lässt sich problemlos durchwaten, aber bald stehe ich vor einem weiteren Arm. Er ist mal wieder zu tief um ihn zu durchqueren, daher beschließe ich kurzerhand mein Lager abzubauen, um schon einmal landeinwärts aus dem Flussbereich zu gelangen, damit ich morgen gleich zum Hart River aufbrechen kann.
Ich bin darauf vorbereitet, über den Nebenarm mit meinem Packraft zu setzen, was sich dann aber als nicht notwendig erweist. Ein Stück weiter hat ein massiver Biberdamm den Arm aufgestaut. Zunächst bin ich mir zwar nicht ganz sicher, ob der Damm mein Gewicht hält, aber das Bauwerk aus tausenden von Knüppeln erweist sich als sehr stabil, daher gelange ich trockenen Fußes auf die andere Seite.
Da ich ja erst drei Tage unterwegs bin, ist mein Rucksack nach wie vor sehr schwer. Das Gelände erleichtert mir den Einstieg in die Wanderung allerdings auch in keiner Weise. Ausgedehnte Moore, in denen ich oft von Grasbüschel zu Grasbüschel zwischen offenen Wasserflächen balanciere, erfordern äußerste Konzentration bei jedem Schritt, und das mit einer fast 35 kg schweren Last. Inzwischen gehen auch wieder kurze Regen- und Schneeschauer nieder. Kurz gesagt, das Vorankommen ist extrem anstrengend!
Schließlich gelange ich aus dem flachen Talbereich in die zu einer Bergkette ansteigenden Hänge. Zwar gibt es hier kein offenes Wasser mehr in den Moorbereichen, aber dafür bringt mich der Anstieg ganz schön ins Schwitzen.
Lange Zeit suche ich nach einem Bach, an dem ich mein Zelt aufschlagen kann, finde aber nur ein schwaches Rinnsaal, dass durch den Moorwald fließt.
In den Torfmoospolstern sind die Heringe kaum zu verankern, aber schließlich steht meine Nylonbehausung.Abends klart es wieder etwas auf, aber für einen größeren Spaziergang ist es zu spät. Immerhin kann ich noch das Farbspiel des Sonnenuntergangs über den Bergen genießen.
Als ich am nächsten Morgen, dem 20. August aus dem Zelt schaue, glaube ich meinen Augen kaum zu trauen: Alles ist tief verschneit und auch weiterhin fallen dicke Flocken vom Himmel. Unter diesen Umständen halte ich es erst einmal für das Beste im Zelt zu bleiben, irgendwann wird es schon aufhören….
Tut es aber nicht, während ich in meinem halbwachen Dämmerzustand im Schlafsack liege, schneit es munter weiter. Irgendwann stürzt der Zelteingang ein. Die nur notdürftig verankerten Heringe haben unter der Last des Schnees nachgegeben. Kein Problem, der Eingang ist schnell wieder hergestellt. Allerdings ist es im ersten Moment schon ein komisches Gefühl, unter einem eingestürzten Zelt zu liegen…
Irgendwann geht der Schnee in Regen über, der schließlich nachlässt. Ich nutze die Gelegenheit zum Lagerabbau und bin gegen 14 Uhr endlich wieder unterwegs.
In Google Earth sah die Route in dem breiten Tal eigentlich ganz einfach aus, aber die gestrige Erfahrung mit dem Moor möchte ich nicht wiederholen, daher steige ich weiter nach oben, aus dem Waldbereich heraus.
Hier brauche ich zwar nicht mehr von Grasbüschel zu Grasbüschel balancieren, dafür stellen steile, mit dicken Blöcken bedeckte Hänge eine Herausforderung dar. Immerhin ergeben sich schöne Blicke über das breite Tal und die umgebenden Berge sowie zurück zum Blackstone.

                                             Blick zurück ins Tal des Blackstone River

Leider ist die Bergkette stark zergliedert, so dass ich keinem Kamm in luftiger Höhe folgen kann. Ständig bergauf- und bergab im steilen Blockgelände zu gehen ist sicher auch nicht das Richtige mit meiner schweren Last.
Daher beschließe ich es jetzt erst einmal in mittlerer Höhe außerhalb des Tales zu probieren. Zwar erscheint die Gegend auf den ersten Blick relativ eben, und der Wald ist offen. Das Vorankommen sollte also halbwegs gut funktionieren.
Dennoch lassen mich die üppigen Moosteppiche in den Mooren nur im Schneckentempo wandern. Glücklicherweise gibt es hier keine offenen Wasserflächen wie gestern Nachmittag.
Immer wieder durchschneiden Bachtälchen mit dichtem Bewuchs die Hügel. Bürstendichte Grünerlendickichte, völlig zugewachsene Wasserläufe und versteckte Sumpflöcher machen das Durchqueren dieser Abschnitte zum reinen Kampf.
Zumindest ist das Wetter jetzt halbwegs passabel. Zwar gehen immer wieder Sprühregenschauer nieder, aber ab und zu kann ich die Aussichten auf die das breite Tal umgebenden, bleichen Kalkschuttberge genießen.
Bereits relativ bald erspähe ich in der Ferne das Tal des Hart River. Danach laufe und laufe ich, aber scheine dem Fluss nicht wirklich näher zu kommen.
Nach fünf Stunden, in denen ich schlappe 7,6 Kilometer zurückgelegt habe, schlage ich mein Lager auf der Böschung eines eingeschnittenen Baches auf. Der erste Flecken festes Land nach den endlosen Mooren!
Der Platz gefällt mir recht gut, und obwohl es jetzt relativ warm ist, tauchen keine Mücken auf.

                                            Endlich fester Boden für ein Lager

An den stehenden, abgestorbenen Bäumen findet sich genug Holz für meinen Hobokocher, den ich mit etwas Baumharz als Feuerstarter entzünde. Wenn das Feuer erst einmal brennt, entfaltet dieser einfache Holzkocher durch die gute Ventilation der seitlichen Belüftungsschlitze eine erstaunliche Hitze, so dass auch feuchtes Material verwendet werden kann. Dieser Kocher hat den Vorteil, dass ich keinen Brennstoff wie Gas oder Benzin mitführen muss.

                                                             Mein Hobokocher

Bald darauf kann ich mir meine wohlverdienten 250 g Spaghetti reinschaufeln!

Der nächste Morgen beginnt mal wieder trüb und dunkel, aber immerhin ist es trocken. Das Vorankommen ist heute einfacher, da ich dem Bach weiter folge und häufig über helle Rentierflechtenteppiche auf trockenem Grund laufe.
Schon nach eineinhalb Stunden stehe ich auf einer Böschung oberhalb des Hart River Tales. Jetzt gilt es einen Weg zum Hauptstrom zu finden, ohne vorher viele Seitenarme überqueren zu müssen, die zu tief zum durchwaten, aber zu flach für das Einsetzen meines Bootes sind.
Schon bald erspähe ich eine ausgedehnte Wasserfläche, die gut aussieht. Sollte ich das Glück haben, dass sich ausgerechnet hier der Hauptlauf meinem Ufer angenähert hat?
Durch Weidengebüsche und tiefe Gräben gelange ich zu dem Wasserlauf. Ich trage bereits nur noch meine Neoprensocken. Im Verbund mit der Paddelhose bleibe ich so auch beim Durchwaten tieferen Wassers trocken, ohne dass meine Stiefel vollaufen und dann lange Zeit nicht mehr trocknen.
Guten Mutes pumpe ich das Packraft auf, und starte die Befahrung des Hart River. Doch schon nach kurzer Strecke muss ich meinen Irrtum erkennen, als ein Biberdamm auftaucht. Der Stau der großen Nager hat mehr Wasser vorgetäuscht, als hier tatsächlich fließt!
Ich habe keine Lust, mein Boot wieder zu verstauen, daher hebe und schiebe ich es komplett mit aufgeschnalltem Rucksack über das breite Knüppelbollwerk.
Leider ist dahinter kaum noch Wasser vorhanden, so das ich immer wieder aussteigen und das Packraft irgendwie durch die seichten Stellen manövrieren muss.
Wieder einmal kann ich von Glück sagen, dass das Material sehr robust ist, sonst würde diese unsanfte Behandlung sicher mit einigen Lecks enden. Vor einigen Jahren hatte ich mir schon einmal so ein „Trailboot“ von einer anderen Firma gekauft. Verglichen mit dem Alpacka war das aber nur ein Spielzeug, das diese Misshandlung nie überlebt hätte.
Nicht besonders Material schonend ist auch, wenn die Strömung mich aus etwas tieferem Wasser kommend knirschend auf eine Kiesbank schiebt.
Nach längerer Zeit, die ich teils paddelnd, teils das Boot ziehend auf dem Seitenarm verbringe, erscheint schließlich tatsächlich der Hauptstrom. Ich bin froh, dass diese anstrengende Prozedur hinter mir liegt, und fahre in die rasche Strömung ein.
Der Hart erscheint mir wasserreicher als der Blackstone und ist hier um die 50 Meter breit. Zwar gibt es auch heute einige Verästelungen, aber über weite Strecken fließt der Hart in einem einzigen Bett, daher komme ich zügig vorwärts.
Leider ist das Wetter mal wieder bescheiden. Ein kalter Gegenwind bläst und immer wieder prasseln Schauer auf mich herunter. Dennoch möchte ich natürlich einige Fotos vom Fluss machen. Meine Spiegelreflex habe ich zwar im Rucksack wasserdicht verstaut, so dass ich nur mit großer Mühe an sie rankommen würde, dafür trage ich noch meine winzige, kompakte Digitalkamera die sich bereits auf vielen Touren bewährt hat, in der Brusttasche meiner Paddeljacke mit mir herum.
Trotzdem fotografiere ich nur bei kurzen Stopps am Ufer. Beim Paddeln muss ich mich nach wie vor zu stark auf den Fluss konzentrieren. Bald werden die Berge schroffer und der Hart fließt zum Teil durch Schluchten, die von steilen Wänden umgeben sind. Das Gestein ist mitunter fast schwarz, was die düstere, bedrohliche Stimmung die über dem Fluss liegt noch unterstreicht.
Einige Male türmen sich hohe, stehende Wellen auf. So etwas habe ich auf dem Blackstone nicht angetroffen. Zwar rauscht es bedrohlich so dass ich nicht geradewegs in die Wellen einfahren möchte, aber meist gibt es dichter am Ufer eine Möglichkeit den höchsten Wogen auszuweichen.
Dennoch bekomme ich einige Male einen Schwall Wasser ins Boot, der ein unangenehmes Kältegefühl am Hintern auslöst. Zwar hat das Packraft eine Spritzdecke, diese hält jedoch nur einen Teil des Wassers ab, und ist keineswegs wirklich dicht.
Heute beobachte ich einige Male Enten, einen Mittelsäger, der auch in Deutschland vorkommt und einige Möwen, aber von größerem Wild ist leider auch am Hart nichts zu sehen.
Als ich gegen 17 Uhr mein Lager auf einem Grasstreifen direkt am Ufer des Flusses aufschlage, hat sich das Wetter gebessert und es ist sogar recht warm geworden, was einige Moskitos anlockt.
Der Blick aufs GPS verrät, dass ich heute 35 Kilometer Luftlinie zurückgelegt habe, und das obwohl ich erst gegen 11 Uhr mit dem Paddeln begonnen habe! Wie immer übertrage ich die UTM-Koordinaten auf meine Karte im Maßstab 1:250.000
Endlich kann ich ohne auf Hindernisse zu stoßen landeinwärts marschieren. Von den Klippen in der Nähe rufen amerikanische Turmfalken. Es blühen noch einige Blumen und manchmal sehe ich einige große Pilze. Ob die wohl essbar sind?
Ohne schweren Rucksack läuft es sich gleich viel entspannter, aber ich bin ziemlich müde, daher unternehme ich keinen besonders ausgedehnten Spaziergang.
Von meinem Lagerplatz sehe ich schon den Fluss in der nächsten Schlucht verschwinden, aus der das laute Rauschen einer Stromschnelle ertönt. Was mich wohl morgen dort erwartet?
Es ist kaum zu glauben, aber als ich am nächsten Morgen aufstehe, scheint die Sonne! Ein paar wärmende Strahlen, und der Tag beginnt gleich anders.

                                                      Endlich Sonne!

Schon nach kurzer Zeit erreiche ich die Quelle des Rauschens, das ich von meinem Lager aus gehört habe. Der Hart River prallt gegen eine hohe Felswand. Den stehenden Wellen in der Flussmitte auszuweichen ist kein Problem, aber auch am Rand der Stromschnelle werde ich in meiner Nussschale ganz schön hin- und hergeschaukelt!
Bald darauf treten die Felsberge, die mich gestern den ganzen Tag begleitet haben zurück und der Hart River fließt durch Mittelgebirgshügel, die mit spitzkronigen Nadelwäldern bedeckt sind. In der Ferne ragen mit frischem Schnee bedeckte Berge auf.
Die Sonne lockt auch einige Tiere hervor. Die Weißkopfseeadler, Enten und Säger hatte ich schon in den letzten Tagen gesehen, aber heute genießen sogar Schmetterlinge und eine Libelle die Sonne. Immer wieder fahre ich ans Ufer um einige Bilder zu machen. Wer weiß, wie lange das Wetter hält.



                                                             Ein schöner Tag am Hart River

Dann tauchen dunkle, steile Schieferfelsen am Ufer auf. Scharfe Gesteinsbänder verlaufen bis in den Fluss und sorgen für etliche Stromschnellen in diesem Abschnitt.
Lautes Rauschen verrät lange vorher, dass jetzt hohe Konzentration und sorgfältige Beobachtung des Flusses notwendig sind, um die beste Route auszumachen, oder rechtzeitig am Ufer anzulanden.
In Boot fressende Wellen gespült zu werden, nur weil ich nicht rechzeitig angelandet bin, möchte ich vermeiden. Wahrscheinlich könnte man mit dem Packraft meist problemlos mitten durch die Wellen fahren, aber ich möchte hier kein Risiko eingehen und möglicherweise im kalten Wasser schwimmen oder wenn es ganz schlecht läuft mein Boot verlieren. Im Auslauf der Wellen schaukele ich immer noch genug um etwas Spaß zu haben.
Die ersten beiden Stromschnellen lassen sich problemlos dicht am Ufer passieren, aber die Nächste ist anders. Die Felsrippe verläuft über die ganze Breite des Flusses, daher halte ich es für angebracht an Land zu gehen.
Das Umtragen solcher Hindernisse ist ein Kinderspiel mit dem Packraft, das man unbeladen durchaus mit zwei Fingern hochheben kann!
Die nächste Schnelle beginnt lange vor einer scharfen Linkskurve. Da ich die Kurve nicht einsehen kann, lande ich an. Als ich mir das Hindernis beim Umtragen dann näher ansehe, stelle ich fest, dass es über eine Zunge aus glattem Wasser durchaus fahrbar gewesen wäre. Allerdings hätte ich die Stromschnelle erst vom Land aus erkunden müssen, dann kann ich sie auch gleich umgehen.
Kaum bin ich ein Stück weiter gepaddelt, kündigt sich bereits die nächste Stromschnelle an. Zunächst ziehe ich das Packraft durch das flache Wasser am Rand. Obwohl die Neoprensocken ziemlich dick sind, ist der Kontakt mit den scharfen Felsen durchaus schmerzhaft.
Als ich etwa 100 Meter mit dem Boot über Land gegangen bin, will ich weiterpaddeln. Allerdings schaffe ich es nicht aus dem Kehrwasser zu gelangen! Die Wucht der Strömung sorgt dafür, dass hier geschützt von den Uferfelsen der Fluss sozusagen bergauf fließt. Alles Paddeln hilft nichts, ich muss noch einmal aus dem Wasser und ein Stück weiter laufen.
Diese Stromschnelle ist die Größte am Hart River, und ich bin froh, nicht durch die tiefen Löcher hinter den Wellen gespült zu werden.
Nachdem ich auch dieses Hindernis passiert habe, wird der Fluss wieder ruhiger und verzweigt sich häufig in ein Labyrinth aus zahllosen Armen, trotzdem bleibt die Strömung flott.
Oft ist es gar nicht so einfach zu bestimmen, welches der Hauptarm ist, dennoch komme ich gut voran. Die milde Nachmittagssonne bringt die birken- und aspenbestandenen Hänge zum Leuchten. 
Gegen 17 Uhr schlage ich mein Lager am Rand eines trockenen Altarms auf.
Zwar unternehme ich noch einen Abendspaziergang durch die Landschaft aus Weidengebüschen und Kiesflächen. Frische Fährten und Losung verraten, dass es hier durchaus Elche gibt, leider bekomme ich keinen zu Gesicht.
Heute habe ich ca. 27 Kilometer auf dem Hart zurückgelegt und es sind laut meinem GPS nur noch 8 Kilometer bis zur Mündung in den Peel River wo ich meine Wanderung durch die Richardson Mountains beginnen möchte. Ich bin gespannt was der morgige Tag bringt.
Zwar war der heutige Stromschnellentag spannend und abwechslungsreich, mit dem Bonus des schönen Wetters. Allerdings bleibt stets eine gewisse Unsicherheit, ob es mir gelingt, auch die nächste Stromschnelle unbeschadet zu passieren….
Zwar habe ich ein bischen Erfahrung und bilde mir ein mit voller Konzentration zu fahren, aber durch eine kleine Unachtsamkeit kann man halt doch mitten in einer Stromschnelle landen und wie ich mich in den hohen Wellen mit meinem kleinen Boot schlagen würde weiß ich nicht…
Leider kann man so etwas auch nicht auf der Lahn üben…
In der Nacht ist es ziemlich windig. Während ich morgens noch im Zelt liege, höre ich das markante Trompeten von Kranichen. Heute taucht ein bleigrauer Himmel, durch den nur selten die Sonne dringt die Landschaft in ein eigenartiges Licht.
Das Tosen der scheinbaren Stromschnelle, welches ich von meinem Lagerplatz höre, entpuppt sich lediglich als Steilwand in einer scharfen Kurve, gegen die die Fluten des Hart branden. Sich drehende Wassermassen verraten tückische Strömungen an dieser Stelle. Weiter geht es durch Labyrinthe sich verzweigender Flussarme. Doch schon nach eineinhalb Stunden habe ich den Peel River erreicht.
Mit den Österreichern, die ich am Flughafen getroffen hatte, habe ich vereinbart, dass wer zuerst an dieser Stelle eintrifft, eine Steinpyramide baut. Offenbar bin ich den Österreichern voraus, daher errichte ich ein Steinmännchen aus den zahlreichen Ufersteinen.
Obwohl der Hart in seinem Verlauf an Wassermenge zugenommen hat, ist der Peel ein anderes Kaliber. Der Fluss ist deutlich breiter und schon leichter Wind baut hier Wellen auf.
Auch ohne sichtbare Hindernisse treffe ich häufig auf Strömungen, in denen ich mich in meiner Nussschale etwas ausgeliefert fühle. Während das Packraft auf Blackstone und Hart durchaus in seinem Element war, ist dieser mächtige Fluss einfach zu voluminös für die geringe Masse des Alpacka. Mitunter habe ich das Gefühl trotz starkem Paddelns kaum gegen die Strömung arbeiten zu können.
Als dann nach nur sechs Kilometern die erste Stromschnelle auftaucht, gehe ich ans Ufer. Das Hindernis wäre sicherlich zu befahren, aber ich fühle mich auf diesem Fluss nicht mehr wohl.
Außerdem weiß ich, dass auf den nächsten Kilometern noch zahlreiche weitere Stromschnellen folgen. Eigentlich hatte ich geplant noch ein Stück weiter auf dem Peel zu fahren, bevor ich meine Wanderung in die Richardson Mountains beginne. Allerdings lässt der Blick auf die Karte es als ebenso gut erscheinen, die Wanderung gleich hier zu beginnen.
Inzwischen hat sich die Sonne durchgesetzt, ideale Bedingungen um meine Ausrüstung trocknen zu lassen, bevor ich sie im Rucksack verstaue. Die Zeit des Trocknens verbringe ich damit Spaghetti zu kochen.

Zu Fuß durch die Richardson Mountains

Nach langer Ruhepause mache ich mich gegen 14.30 Uhr auf den Weg. Zunächst geht es ein Stück durchs Moor, aber dann wird es unheimlich…
Die Vegetation aus Fichten, Zwergbirken und Erlengebüschen wird immer undurchdringlicher. Nur mit massivem Krafteinsatz kann ich mich überhaupt durch den Busch zwängen. Dabei sehe ich oft keine zwei Meter weit.
Zunächst hoffe ich, nur relativ kleinflächige Dickichte durchqueren zu müssen, aber wenn ich mal wieder einen der niedrigen Hügel erklommen habe die einen gewissen Ausblick gewähren, sehe ich nichts als dichten Busch so weit das Auge reicht.
Wahrscheinlich wütete hier vor langer Zeit ein Waldbrand, was die offenbar gleich alte Vegetation erklärt. Vor allem bin ich überrascht über die ungeheure Dichte in der die Pflanzen hier wachsen. Ich war schon in anderen nördlichen Gegenden wandern. Aber so etwas habe ich bisher weder in Lappland, British Columbia oder der Mongolei erlebt.
Immer wieder prüfe ich mit dem GPS wie weit ich schon gekommen bin. Trotz stundenlanger Anstrengungen scheint es, ich würde förmlich auf der Stelle treten.
Die Sonne wärmt jetzt richtig und zaubert Unmengen von kleinen Schweißfliegen hervor, die von allen Seiten versuchen etwas von der salzigen Flüssigkeit die mein Körper absondert zu erhaschen. Manchmal, wenn eine besonders dichte Stelle mich nicht mehr freilassen will, stoße ich mit lauten Flüchen meinen Unmut aus.
Auch das Wild scheint diese Dickichte zu meiden, kaum eine Fährte oder Losung ist zu sehen, es herrscht bedrückende Stille.

                                                             Kilometerweit nichts als dichtester Busch

Irgendwann gelange ich an einen kleinen Bach, der zum Lagern einlädt. Obwohl es bisher der erste auch nur halbwegs zum Zelten geeignete Platz ist, marschiere ich weiter. Die seit meinem Aufbruch vom Fluss zurückgelegte Entfernung ist mir einfach zu gering.
Bald beginne ich den langgezogenen Aufstieg auf einen Berg. Ich versuche dort zu laufen, wo noch einige Altbäume stehen, die mit ihrem Schatten dafür sorgen, dass die Vegetation weniger dicht ist.
Obwohl der Anstieg mich ganz schön ins Schwitzen bringt, komme ich besser voran, und hege die Hoffnung, dass ich die alten Waldbrandflächen hinter mir gelassen habe.
Oben angekommen, gelange ich auf einen schmalen Grat unter dem der Hang steil abfällt. Hier eröffnet sich der erste Blick auf mein Ziel, die Richardson Mountains, die als imposante Mauer in einiger Entfernung aufragen.
Allerdings verrät mir der Ausblick auch, dass meine Tortur noch lange kein Ende hat. So weit das Auge reicht, breitet sich die dichte Vegetation der ehemaligen Waldbrandflächen aus.
Während das Vorankommen bislang schon schwierig war, entpuppt sich der Abstieg als wahre Strafe. Die Grünerlendickichte hier auf dem feuchten Nordhang sind so dicht, dass die Zweige kaum nachgeben und ich mich trotz der Steilheit des Geländes nur mit brachialem Körpereinsatz hindurchzwängen kann.
Schließlich erreiche ich ein Bächlein in einem Tal, dass ich von oben ausgemacht hatte. Allerdings ist es so tief eingekerbt und dicht bewachsen, dass sich keine Lagermöglichkeit ergibt.
Ich beschließe dem Kerbtal abwärts zu folgen, in der Hoffnung, dass es schließlich in ein breiteres Tal mündet. Zunächst komme ich auch noch halbwegs voran, obwohl umgestürzte Bäume mich oft zu akrobatischen Übungen zwingen.
Dann wird das Tal steiler, und ich befürchte irgendwann nicht mehr weiterzukommen, da es vielleicht wasserfallartig abfällt. Mit großer Mühe zwänge ich mich aus der Spalte heraus und hangele mich auf den Steilhängen weiter.
Schließlich gelange ich in das nächste Tal. Welch Enttäuschung, es ist ebenfalls kerbförmig eingeschnitten und mit dichtester Vegetation bedeckt. Diesmal mache ich nicht den Fehler, zu versuchen dem Tal zu folgen sondern klettere gleich nach oben raus. Auf der Höhe angekommen eröffnen sich noch einmal schöne Ausblicke auf die Richardsons im sanften Licht des späten Abends.

                                                Die Richardson Mountains im Abendlicht

Die kahlen Bergrücken dort lassen mich hoffen, leichter voranzukommen, wenn ich in größere Höhen gelange.
Trotz aller Anstrengung ist es ein wunderschöner Abend, an dem die untergehende Sonne die bereits herbstlich gefärbten Birken und Aspen golden leuchten lässt.

                                                 Die Abendsonne lässt die Hänge leuchten

Gegen 21 Uhr erreiche ich ein Stück weiter talabwärts schließlich doch noch einen geeigneten Zeltplatz am Bach. Seitdem ich den Peel River verlassen habe, bin ich lediglich 6,5 Kilometer vorangekommen! 6,5 Kilometer in 6 Stunden!
Der nächste Morgen bricht grau und ungemütlich an, wenigstens ist es nicht kalt. Streckenweise komme ich auf ausgetretenen Elchwechseln gut voran.
Glücklicherweise muss ich mich nicht mehr durch extrem dichte Vegetation quälen, dafür sind die Moore aber auch nicht gerade einfach zu begehen, da ich mit meinem immer noch schweren Rucksack bei jedem Schritt tief in die Moospolster einsacke.
Oft muss ich wieder von Bülte zu Bülte balancieren um versteckten Wasserlöchern auszuweichen. Entspanntes Wandern ist etwas anderes!
Nach etwa 2 Stunden gelange ich an den Canyon River, den ich gestern schon von oben ausgemacht hatte. Möglicherweise könnte ich hier irgendwo eine flache Stelle zum Durchwaten finden, aber ich halte mich gar nicht lange mit der Suche danach auf, sondern bringe gleich mein Packraft wieder zum Einsatz.
Wozu hat man denn ein Boot im Rucksack dabei? Obwohl das hier ein relativ bescheidenes Flüsschen ist, schaffe ich es beim einsteigen den Bug mit dem aufgeschnallten Rucksack im Wasser zu versenken!
Zwar ziehe ich es sofort wieder an Land, aber der Rucksack hat natürlich eine ordentliche Ladung Wasser abbekommen. Das ist nicht weiter schlimm, da ich ja den Inhalt wasserdicht verpackt habe, aber vollgesogen mit Wasser wird meine Last noch schwerer. Schließlich bin ich trotzdem glücklich ans andere Ufer gelangt.
Die ganze Aktion mit Bootsaufbau, beladen und alles wieder verstauen, hat über eine Stunde gedauert. Nichts was man häufiger an einem Tag machen möchte!
Obwohl ich mich bislang bemüht hatte, meine Stiefel trocken zu halten, tappe ich in den Mooren des Uferbereiches in ein tiefes Sumpfloch, was mit nassen Strümpfen und Stiefeln belohnt wird. 8 Gänse schweben auf den sich bald seeartig verbreiternden Fluss ein.
Schon seit langem steuere ich einen Bergrücken an, der den Beginn der Richardson Mountains markiert. Der Anstieg ist gemächlich und die Vegetation so lückig, dass ich immer wieder bequeme Durchschlupfmöglichkeiten finde.
Als ich höher gelange, weichen die Zwergbirken und Grünerlen schließlich dichten Polstern aus hellen, fast weißen Rentierflechten. Endlich ergeben sich Ausblicke auf die Umgebung und das Wandern macht zum ersten Mal seit meinem Aufbruch am Peel River richtig Spaß.
Dafür weht hier oben ein eiskalter Wind, der immer wieder Regenschauer mit sich bringt. Zwar ist mir meine weitere Marschrichtung eigentlich klar, aber der direkte Weg würde mich wieder hinab in tiefe Täler voll dichtem Bewuchs bringen.
Daher versuche ich mich auf den Bergrücken zu halten, wo das Vorankommen erheblich einfacher und schöner ist. Das führt natürlich zu großen Umwegen.
Auch das Wild scheint die Grate zur Fortbewegung zu bevorzugen, denn ich finde viel Losung, auch von Bären, wie mir die großen Haufen voll halbverdauter Beeren zeigen.
Schließlich steige ich aber doch ins Tal ab, um mein Nachlager aufzuschlagen. Zwar habe ich Bedenken, beim Abstieg wieder so ein Fiasko in den Hanggebüschen zu erleben, wie gestern Abend, aber diesmal gelange ich erstaunlich einfach nach unten, und finde rasch einen Lagerplatz in einem dunklen Fichtenwald an einem Bach.
Inzwischen haben sich die Schauer zum Dauerregen entwickelt, der bald auch auf dem durch die Baumkronen geschützten Waldboden ankommt. Egal, wenn der Hobokocher erst einmal in Gang ist, kann ihm der Regen nichts mehr anhaben!
In 11 Stunden habe ich heute lediglich 12 Kilometer zurückgelegt! Ich bin langsamer als ich erwartet hatte, daher mache ich mir Gedanken, ob ich die Tour wie geplant durchführen kann. Während der Regen auf das Zeltdach prasselt, sitze ich noch lange über meinen Karten, und beschließe schließlich meine ursprünglich geplante Route etwas zu verkürzen.
Auch war ich bisher davon ausgegangen, in erster Linie in den Tälern zu laufen. Das erscheint mir hier nicht sinnvoll, da die Vegetation einfach zu dicht ist. Da die Richardson Mountains meist nicht sehr schroff sind, entscheide ich mich für eine höher gelegene Route entlang des Hauptkamms.
Es regnet die ganze Nacht hindurch und auch am nächsten Morgen fällt das Nass vom Himmel, so dass ich erst gegen 9.30 aufbreche. Bald habe ich das Tal wieder verlassen und gelange zurück auf einen Grat.
Zwar lässt es sich hier oben gut wandern, aber eigentlich will ich dem Verlauf des Tals folgen, in dem ich übernachtet habe, die Bergkämme verlaufen aber leider quer dazu.
Trotzdem gelingt es mir grob die Richtung zu halten, nur einmal muss ich in ein Quertal absteigen, ansonsten laufe ich auf den Graten.
Leider ist das Gelände nicht immer so schön offen und lediglich mit Flechtenteppichen bewachsen. Immer wieder muss ich mich durch klatschnasse Gebüsche zwängen. Heute finde ich es gar nicht schlecht, in wasserdichten Paddelsachen zu laufen, normales Regenzeug hätte den konzentrierten Güssen beim Durchqueren der Buschzonen kaum stand gehalten.
Häufig stoße ich auf Elchfährten- und Losung, sowie auf rotgefärbten, breiigen Bärenkot, leider bekomme ich außer einigen Elch- und Karibugeweihstangen nichts von größeren Tieren zu sehen. Wahrscheinlich ist es dem Wild auch zu ungemütlich!
Immer wieder gehen Schauer, zum Teil mit Schnee vermischt nieder, und der kalte Wind lässt nur kurze Pausen zu. Nachmittags gelange ich in höhere Regionen in denen nicht einmal mehr Zwergbirken wachsen. Nur schütteres, gelbes Gras und Rentierflechten bedecken das dunkle Schiefergestein.
Obwohl die Verhältnisse ziemlich ungünstig sind, genieße ich es entlang der Kämme zu laufen, wo sich schöne Aussichten öffnen. Bei blauem Himmel wäre es hier natürlich noch viel schöner!Meine Karten sind zu ungenau, um eine wirkliche Hilfe im Labyrinth der Kämme zu bieten. Kompass und GPS geben die grobe Richtung vor, für den tatsächlichen Weg lasse ich mich oft von meinem Instinkt leiten.
Mein Ziel ist das Tal des Canyon Creek, den ich ja schon gestern überquert hatte, der hier aber in einem großen Bogen das Gebirge durchbricht.
Später am Nachmittag wird aus den gelegentlichen Schauern wieder ein kalter Dauerregen, der zunehmend an Stärke gewinnt. Um einen Lagerplatz zu finden, muss ich von den Höhen in ein bewaldetes Tal absteigen.
Ich fürchte wieder einmal in dichter Vegetation an einem steilen Hang zu landen, aber hier gibt es keine Waldbrandlächen, und der alte Fichtenwald ist dunkel genug um die Bodenvegetation niedrig zu halten. Auch kommt immer wieder der nackte Schiefer zu Tage, auf dem nur Flechten wachsen.
Erstaunlich einfach gelange ich an ein kleines Bächlein und schlage mein Zelt im peitschenden Regen auf. In der Eile bleibe ich mit meinen Stiefeln hinten am Zelt hängen, so dass ein Riss entsteht, der aber glücklicherweise keine Auswirkungen auf die Dichtigkeit des Zelts hat, was sich jetzt als sehr wichtig herausstellt!
Es ist so unangenehm, dass ich keinen Versuch starte, in meinem Hobo-Kocher ein Feuer zu entfachen. Nicht einmal zum Wasser holen verlasse ich das Zelt. Ich habe einfach genug vom Dauerregen! Auch heute bin ich bedingt durch die weiten Umwege auf den Kämmen nur 9 Kilometer weiter gekommen.
Es ist kaum zu glauben, die ganze Nacht schüttet es wie aus Eimern und auch am nächsten Morgen hat der Regen noch nicht an Kraft verloren.
Glücklicherweise ist mein Nallo 2, der schwedischen Firma Hilleberg sehr gut. Das Zelt lässt an keiner Stelle Wasser durch. Auch 2 Personen können darin schlafen, obwohl es nur 2,2 kg wiegt.
Ich habe keine Lust mich wieder durch den strömenden Regen zu quälen und bleibe daher im Zelt, bis schließlich gegen 10 Uhr der Regen tatsächlich nachlässt und dann aufhört.
Das Tal in dessen Oberlauf ich zelte, mündet in den Canyon Creek, wie meine Karte verrät. Heute versuche ich nicht den Graten zu folgen, sondern marschiere auf dem Talboden abwärts.
Dabei komme ich zu meinem Erstaunen besser als erwartet voran. Der Wald ist licht genug um mir keine ernsten Hindernisse entgegen zu setzen, und häufig kann ich auf festem Boden laufen. In den Mooren entdecke ich niedrige junge Lärchen, aber ältere Bäume dieser Art habe ich hier noch nicht gesehen. Schließlich erreiche ich das breite Tal des Canyon Creek, und stehe bald vor dem dunklen, tief eingeschnittenen Bach, der hier einen ganz anderen Charakter hat als dort wo ich ihn zuerst überquert hatte. Nach kurzer Suche finde ich eine Stelle, wo der Creek so schmal ist, dass ich rüber springen kann.
In dem sumpfigen Tal gibt es große, offene mit Sumpfgräsern bewachsene Flächen. Leider sehe ich in diesem idealen Elchlebensraum keinen der großen Hirsche.
Die offenen Flächen sind zu sumpfig um sie zu durchqueren, aber es gibt stets eine Möglichkeit sie durch die randlichen Moorwälder zu umgehen. Nur manchmal muss ich bei tiefer gelegenen Rinnen schon sehr genau darauf achten, wo ich lang gehe, da es hier auch offenes Wasser gibt.
Bevor ich das Tal durchquert habe, gelange ich noch an einen Bach der aus einem Seitental kommt, und ebenso viel Wasser wie der Canyon Creek führt.
Auch hier finde ich nach kurzer Suche eine Engstelle.
Bald darauf verlasse ich das Tal und erklimme die steilen Hänge einer Bergkette. Ich hatte befürchtet, dass mich klatschnasse Dickichte erwarten, aber ich komme erstaunlich gut im Wald voran. Nachdem die Bäume zurückbleiben, eröffnet sich noch einmal der Blick zurück in das Tal des Canyon Creek.
Ich laufe jetzt auf einem Bergrücken zwischen zwei tiefen Seitentälern des Canyon Creek. Allerdings ist er nicht flach mit gleich bleibender Höhe, sondern häufig geht es auf und ab.
Schade, dass das Wetter so trübe ist, daher mache ich kaum Fotos. Bei schönem Wetter wäre es traumhaft hier zu wandern! Nachdem es kurzzeitig aufzuklaren scheint, beginnt es wieder zu nieseln.
Dann sehe ich weit entfernt oberhalb eines Blockfelds vier weiße Punkte. Der Blick durch mein kleines Taschenfernglas verrät, dass es sich dabei um Dallschafe handelt, die dort ruhen. Mein erstes Wild auf der Wanderung! Ich freue mich, die Wildschafe vielleicht fotografieren zu können, da mein Kurs in ihre Richtung führt. Aber als ich eine weitere Anhöhe erklommen habe, sehe ich wie die Dallschafe sich erheben und in unerreichbarer Entfernung weiterziehen. Schade!
Dennoch sehe ich noch andere Lebewesen. Einige Schneehühner fliegen explosionsartig vor mir auf. Um diese Zeit haben sie noch nicht ihr weißes Wintergefieder angelegt.
Unterhalb des Grates sehe ich einen Grasfleck und vermute dort eine Quelle, an der ich lagern könnte. Leider bewahrheitet sich meine Vermutung nicht. Erst ein Stück unterhalb im Nadelwald beginnt ein Bächlein, an dem ich mein Zelt aufschlage.
Kaum habe ich meine Sachen zum Trocknen rausgehängt, beginnt es wieder zu regnen. Vor allem für den Daunenschlafsack ist es wichtig, dass er regelmäßig trocknen kann. Das ist bei diesen Bedingungen leider nicht möglich, daher verliert er an Leistung, da klamme Daunen nicht so gut wärmen.
Um meinen Hobo-Kocher zu entzünden, benötige ich heute eine Esbittablette. Als er schließlich brennt, kommt der Topf voll Spaghetti ins Rutschen, da der Kocher nicht auf ebenem Untergrund steht. Todesmutig will ich meine Nudeln retten, was mir auch gelingt. Der Preis dafür ist allerdings eine Brandblase am Finger!
Da auch heute kein einfacher Wandertag war, wundere ich mich nicht, dass ich wieder nur 8 Kilometer weit gekommen bin.
Ich muss unbedingt mehr Kilometer pro Tag zurücklegen, sonst schaffe ich es trotz verkürzter Route nicht, rechtzeitig wieder am Dempster Highway zu sein. Der Druck unbedingt Strecke machen zu müssen, wird in den nächsten Tagen nicht mehr von mir weichen.
Der Morgen beginnt wieder trübe und grau, aber wenigstens regnet es nicht. Zunächst folge ich weiter dem Grat zwischen den Tälern. Man sieht auf den Graten häufig breite Wildwechsel, auf denen der Flechtenbewuchs verschwunden ist. Die Tiere lieben eben auch die einfachen Wanderrouten! Allerdings frage ich mich natürlich warum mir dann kein Wild begegnet, wo ich doch auch auf den Graten unterwegs bin.
Manchmal heben sich die Wolken ein wenig und erlauben kurze Ausblicke in die Weite der Berge mit ihren Hochflächen, tiefen bewaldeten Tälern und grauen Schuttflächen. Es ist ein erhabenes Gefühl diese Wildnis zu durchwandern in dem Bewusstsein über Dutzende von Kilometern wahrscheinlich der einzige Mensch zu sein.



                                           Auf dem Kamm der Richardson Mountains

Schließlich habe ich den Oberlauf der Täler erreicht, und der Grat geht über in ein tundraartiges Hochplateau, das hier den Hauptkamm der Richardson Mountains bildet.
Mir ist klar, dass die Orientierung ab jetzt schwieriger wird, als auf dem leicht zu verfolgendem Grat. Daher habe ich gestern im Zelt aus der Karte Wegpunkte gemessen und in mein GPS Gerät übertragen.
Allerdings lasse ich auch jetzt den Satellitenempfänger nicht ständig laufen, sondern kontrolliere nur ab und zu die Richtung und die bereits zurückgelegte Entfernung. Im Wesentlichen versuche ich meinen Kurs durch Kompass-Peilungen zu halten.
Weite gelbe Grasflächen die zum Teil sumpfig sind, wechseln sich mit Bereichen ab, in denen ich über fast kahles, dunkles Schiefergestein laufe.
Einmal höre ich kurz einen Wolf heulen. Dieser perfekte Laut der Wildnis unterstreicht die düstere Stimmung des unter dem grauen Himmel mit seinen schweren Wolken sehr abweisend wirkenden Hochplateaus.
Ein sperberartiger Greifvogel streicht in niedriger Höhe entlang der Konturen eines Bergrückens.
Hier oben weht ein eiskalter Wind, der mich schon bald alle meine Kleidungsstücke anlegen lässt. Sogar die eigentlich eher für Polarexpeditionen bestimmte Kopfhaube setze ich auf.
Die Landschaft verschwindet zunehmend im aufkommenden Nebel. Immer wieder gehen Schneeschauer nieder. Zumindest komme ich gut vorwärts, schon gegen 14.30 habe ich einen 12 Kilometer von meinem letzten Lager entfernten Wegpunkt erreicht. Mittlerweile ist es so kalt, dass die Nebeltropfen an den Grashalmen gefrieren!

                                                          Es ist kalt!

Bald nehme ich durch die Mischung aus Nebel und wütendem Schneetreiben nur noch meine unmittelbare Umgebung wahr. Obwohl ich häufig auf mein GPS schaue, stehe ich schließlich am Rand eines Tales, in das ich laut meinem Navigationshelfer absteigen soll.

Allerdings weiß ich, dass das nicht richtig sein kann, da ich auf der Hochebene des Hauptkamms bleiben muss. Ich bin verwirrt und marschiere wütend ein Stück zurück um dann stur nach Kompass weiter nach Norden zu laufen.

Zu allem Überfluss habe ich jetzt auch keinen GPS Empfang mehr. Der Wind wird immer heftiger und lässt bei jeder kleinen Pause die Kälte durch meine Kleidungsschichten dringen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen