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10.12.2013

Durch Wüsten und Canyons des Colorado Plateaus 9

Schließlich erreichen wir den Eingang des Grand Canyon Nationalparks, wo ich keinen Eintritt zahlen muss, da ich ja bei Caren, die hier arbeitet, im Wagen sitze.
Zwar war ich vor einigen Jahren schon mal hier am Grand Canyon, aber das was ich jetzt vorhabe, eine wochenlange Wanderung in den Tiefen der Schlucht, ist natürlich etwas anderes, als wenn man dieses grandiose Naturwunder lediglich an einigen Aussichtspunkten bewundert.

Ich möchte e- mails checken und schreiben, allerdings hat Caren mir gesagt, dass es dazu eigentlich keine Möglichkeit auf dem Nordrand des Canyons gibt. Na ja, sie kommt nicht gleich damit raus, aber schließlich erzählt sie mir doch, dass es in der Unterkunft der Hotelangestellten drei Computer gibt, die die Bediensteten benutzen dürfen um ins Internet zu gehen.
Offenbar herrschen dort recht strenge Sitten, denn Caren sträubt sich ziemlich dagegen, mir den Raum zu zeigen wo die PC’s stehen. Kein Problem, obwohl ich mit meiner leicht abgerissenen Erscheinung und dem vom ständigen Draußen sein sichtlich gezeichnetem Gesicht nicht gerade wie ein Hotelangestellter aussehe, steuere ich nach ihrer Beschreibung zielstrebig den Computerraum an und setze mich als ob ich dazu gehören würde an einen freien Platz. Zwar fallen leicht verwunderte Blicke auf mich, aber es herrscht wohl eine große Fluktuation unter den Bediensteten des einzigen Hotels auf dem North Rim, daher kann ich problemlos einige e- mails absetzen und empfangen.
Wahrscheinlich steuern mehr als 90 % der Besucher des Grand Canyon den Südrand an, daher herrscht hier auf dem North Rim eine eher ruhige und entspannte Atmosphäre.
In der Nähe des Besucherzentrums gönne ich mir eine große Pizza und suche mir dann einen Zeltplatz auf dem Campingplatz des Nationalparks. Für Wanderer und Radfahrer stehen hier spezielle Plätze zur Verfügung, die mit nur 6 $ auch recht günstig sind. Ich darf mein Zelt an einer traumhaften Stelle direkt an der Abbruchkante der Schlucht aufschlagen.
Da ich schon morgen weiterwandern möchte, ist es wichtig mir ein Backcountry Permit zu besorgen. Das habe ich zwar auch schon von Deutschland aus erledigt, aber da ich ursprünglich erst an der Mündung des Little Colorado in den Nationalpark eintreten wollte, benötige ich ein weiteres Permit für die Strecke dorthin.
Im Besucherzentrum erfahre ich, dass die Erlaubnisse im Backcountry Office ausgestellt werden, dass in einiger Entfernung relativ versteckt im Wald liegt.
Da Wanderungen in den Grand Canyon nicht ungefährlich sind und es in jedem Jahr zahlreiche Unglücksfälle gibt, die meist auf die Kombination aus körperlicher Anstrengung, großer Hitze und unzureichender Wasseraufnahme zurückzuführen sind, muss jedermann der in den Canyon will, zunächst einen bürokratischen Wust ausfüllen.
Man mag manche Angaben für übertrieben halten, aber der nette Ranger, in dessen Büro ich die Formulare ausfülle, erzählt mir, dass häufig aufgefundene Tote nur nach den gemachten Angaben identifiziert werden können…
Man muss auch über die bisherigen Wüstenerfahrungen detailliert Auskunft geben, diese Prozedur erfolgt bei mir aber nur sehr verkürzt, als ich dem Ranger erzähle, dass ich auf dem Hayduke unterwegs bin…
Der Nankoweap Trail den ich als Zugang in die Schlucht verwenden möchte, ist laut dem National Park Service der schwierigste und daher nur sehr selten belaufene Weg im Grand Canyon. Die Ranger sind auch nur selten dort unterwegs, aus diesem Grund werde ich gebeten, nach meiner Ankunft auf dem Südrand im dortigen Backcountry Office meine Beobachtungen zum Wegezustand kund zu tun…
Mit dem Permit in der Tasche gehe ich meine nächste Aufgabe an, dass Einkaufen von Vorräten für 10 Wandertage.
Der Laden beim Campingplatz ist natürlich im Wesentlichen auf die Bedürfnisse der Tagestouristen eingestellt. Dennoch gelingt es mir halbwegs nahrhafte Produkte zu erwerben. Leider entdecke ich kein vernünftiges Müsli und muss daher mit Corn-Flakes Vorlieb nehmen.
Nach der Hitze am Colorado ist das Klima hier auf 2500 Meter Höhe schon ein ganz schöner Wechsel für meinen Körper. Zwar ist es klar und sonnig, aber es weht eine ziemlich frische Brise.
Nach meinen Besorgungen kann ich so gerade noch den Sonnenuntergang in der Nähe meines Zeltplatzes erleben und komme dabei mit einigen Amerikanern ins Gespräch, die mein Vorhaben bewundern.
Als es schon dunkel ist, kann ich dann noch die Münzdusche des Platzes benutzen um mich und meine Wäsche zu waschen.
Die üppige Bewaldung des Kaibab Plateaus täuscht, es gibt auf dem Kalkstein kein Oberflächenwasser! Daher belade ich mich mal wieder mit acht Litern Wasser, die für zwei Tage reichen müssen.
Da so allein für Nahrung und Wasser 15 kg zusammenkommen, bin ich daher mit etwa 28 Kilogramm mal wieder ziemlich schwer beladen.
Es hat in der Nacht zwar nicht gefroren, aber trotzdem ist es morgens zunächst ziemlich frisch, so dass ich zunächst in langer Kleidung los laufe.
Nachdem ich das ausgedehnte Waldgelände der Einrichtungen am North Rim verlassen habe, gelange ich schon bald an einen Trailhead mit großem Parkplatz. Zunächst erschrecke ich, da offenbar Massen von Leuten hier unterwegs sind, aber schon bald wird mir klar, dass alle diese Menschen den North Kaibab Trail einschlagen, der von hier direkt in das Canyoninnere führt. Ich dagegen folge dem Ken Patrick Trail durch die Wälder des Plateaus. Schon bald wird mir anhand des Zustands dieses Weges klar, dass er wohl nur äußerst selten bewandert wird. Teile des Trails sind mit fiesen Dornsträuchern zugewachsen und häufig muss ich den Wegeverlauf mehr erahnen, als dass ich einfach einer ausgetretenen Linie folgen könnte.
Ich begegne einem kleinen Rudel Maultierhirsche, was zwar weniger vertraut ist als die Tiere in der Nähe des Besucherzentrums, aber auch nicht gerade als scheu zu bezeichnen ist.
Man liest immer wieder, dass das Höhenprofil des Grand Canyon klimatisch einen Querschnitt von Kanada nach Mexico darstellt. Hier auf dem Nordrand, der im Schnitt 300 Meter höher als der Südrand ist, wäre ich demnach in Kanada. Zwar finde ich, dass es im Norden schon noch etwas anders aussieht, aber die dichten Nadelwälder aus verschiedenen Fichten- und Tannenarten sind tatsächlich für diese trockene Gegend ziemlich üppig. Die weißen Stämme der Aspen sorgen für schöne Kontraste.


                                                      Nadelwald auf dem Plateau

Es ist wieder einmal kaum zu glauben: Kaum entferne ich mich ein wenig von Straße und Einrichtungen des Nordrands, habe ich den Wald für mich allein.
Erst später, als der Pfad sich wieder einer Straße die zum Point Imperial führt nähert, treffe ich einige Tageswanderer, die zu verschiedenen Aussichtspunkten unterwegs sind.
Point Imperial ist mit 2683 Metern der höchste Punkt des Nordrims. Man schaut von hier über die Painted Desert bis zu Lee’s Ferry. Hier ist der Canyon noch relativ schmal, bevor er dann zum „Grand Canyon“ wird. Unter mir erstreckt sich das Tal des Nankoweap Creek, den ich morgen erreichen möchte.       

                                                             Grand Canyon

Leider ist es nicht wirklich klar, so dass keine guten Bedingungen zum Fotografieren herrschen.
Nachdem ich den Aussichtspunkt verlassen habe, geht es weiter durch Kiefernwälder mit großen Waldbrandflächen.
Nach circa 20 Kilometern erreiche ich gegen 16 Uhr mein Tagesziel, den Beginn des Nankoweap Trails. Hier stoße ich auch wieder auf die Route des Hayduke.
Ein Feuerring aus Steinen zeigt, dass an dieser idyllischen Stelle unmittelbar an der Abbruchkante schon vor mir Leute gelagert haben. 
Der Platz liegt unmittelbar außerhalb der Grenze des Nationalparks, daher darf man mit dem Geländewagen hierher fahren. Kein Wunder, am Spätnachmittag tauchen zwei Fahrzeuge auf, bevor die Stille des Abends einkehrt.

                                                          Welch toller Lagerplatz!

Nachdem ich mein Abendessen, wie immer mit einer guten Portion Olivenöl verfeinert, gegessen habe, beginnt das Schauspiel des Sonnenuntergangs.
Während in die Tiefen des Canyons bereits die Schatten der Nacht eingezogen sind, werden die gegenüberliegenden Wände noch von den letzten Sonnenstrahlen in ein warmes Licht getaucht.
Später, als das Abendrot den Himmel färbt, treten die vom Dunst des Tages zuvor verhüllten Konturen des Grand Canyon mit der Vielzahl ihrer Gesteinsschichten klar hervor.


                                                 Abend über dem Grand Canyon

Bevor die Nacht endgültig die Oberhand gewinnt, findet noch einmal eine Farbsymphonie statt.


Der Nankoweap Trail wurde bereits 1880 auf Anregung des berühmten Grand Canyon Erstbefahrers John Wesley Powell angelegt. Dabei folgt die Trasse einer alten Indianerroute. Später diente der Nankoweap Trail dann Viehdieben, die über den Weg Rinder von Utah nach Arizona trieben. Wenn man dem Trail allerdings heute folgt, wird man bald feststellen, dass es mittlerweile für Pferde oder Mulis völlig unmöglich ist auf dieser Route in den Canyon zu gelangen…
Der Morgen beginnt klar und wunderschön. Durch herrlich verfärbte Eichen- und Aspenhaine gelange ich auf das Plateau des Saddle Mountain.


                                          Ein toller Morgen beim Abstieg zum Saddle Mountain

Während es bis hier noch hohe Nadelbäume gibt, gelange ich bald darauf in die Zone der Wacholder und Pinyon Pines.
Der sporadisch mit Steinmännchen markierte Pfad folgt jetzt der Flanke des Saddle Mountains. Zum Teil ist der Weg in der Steilwand lediglich fußbreit. Man sollte hier trittsicher und schwindelfrei sein, denn an manchen Stellen droht bei einem Fehltritt ein fünfzig Meter tiefer Absturz…

                                       Der Trail folgt der Flanke des Saddle Mountain

Natürlich treffe ich keinen anderen Wanderer, dennoch wird die Stille der Landschaft immer wieder gestört. Hubschrauber, die reichen Touristen den Canyon aus der Vogelperspektive präsentieren, tauchen in manchmal lediglich fünfminütigem Abstand immer wieder auf.
Zwar unterliegen die Bereiche in der Nähe der Aussichtspunkte einem Flugverbot, ein großer Teil des Grand Canyon darf aber von den knatternden Maschinen überflogen werden. Während bei der Erteilung der Permits für harmlose Wanderer sehr stark darauf geachtet wird, dass die Bestimmungen zum Schutz der Natur eingehalten werden, sind im Fall der Helikopterflüge offenbar die finanziellen Interessen viel stärker als der Schutz der Nationalparks, die ansonsten ja schon eine große Bedeutung für die Amerikaner haben.
Was würde Edward Abbey denken?
Eine kleine hängende Quelle die im Führer beschrieben wird, ist völlig ausgetrocknet. Lange Zeit folgt der Trail den schmalen Erosionsbändern. Ich frage mich immer wieder wo der Weg die nächste Steilstufe überwindet, aber irgendwie verliere ich doch langsam an Höhe. Schließlich fällt der Nankoweap Trail über 1735 Höhenmeter bis zum Colorado ab!
Einmal treffe ich auf eine fette braune Schlange auf dem Pfad. Wahrscheinlich handelt es sich wieder einmal um eine Klapperschlange, aber sie schlängelt sich ohne das charakteristische Klappern davon.
Die Landschaft wird immer trockener je weiter ich mich dem Tal des Nankoweap Creek nähere. Einige Kakteenarten die ich bis jetzt auf meiner Wanderung noch nicht kennen gelernt hatte tauchen auf.

                                                           Neue Kakteenarten erscheinen

Nachdem der Pfad bislang relativ gemäßigt Höhe abgebaut hat, beginnt nun ein extrem steiler Abschnitt, durch loses, feines Geröll. Vor kurzem hat ein Bergrutsch hier einen Teil des Pfades verschüttet. Der Ranger im Backcountry Office war daran interessiert zu erfahren, ob sich der Hang stabilisiert hat, oder noch weitere Geröllmassen nachrutschen.
Wie auf rohen Eiern balanciere ich über die heiklen Flächen. Direkt bergab zu laufen wäre unter Umständen mit einem neuen Erdrutsch verbunden, daher schlage ich einen Zick- Zack Kurs ein, bei dem ich nur langsam an Höhe verliere.
Trotz aller Vorsicht gleite ich einmal trotzdem aus, und rutsche auf dem Hosenboden einige Meter nach unten, bevor ich zum Halten komme.

                            Noch trennen mich viele Höhenmeter vom Nankoweap Creek

Schließlich erreiche ich ein trockenes Bachbett, dem ich ohne weitere Probleme folgen kann, bis ich gegen 16 Uhr den Nankoweap Creek erreiche.
Dieses muntere, klare Bächlein in der trockenen Landschaft kommt mir wie ein wahres Wunder vor. Gut, irgendwo muss das Wasser ja bleiben, das auf das Kaibab Plateau fällt. Es versickert im durchlässigen Kalkstein und kommt in der Tiefe des Canyons wieder an die Oberfläche,wo es diesen dauerhaft Wasser führenden Bach nährt.
Aber natürlich täuscht der harmlose Eindruck, wie üblich sehe ich auch in diesem Tal die Spuren vergangener Überschwemmungen.
Nachdem ich mein Lager aufgeschlagen habe, erkunde ich die Umgebung noch ein wenig.

                                                          Nankoweap Creek

Ich könnte dem Bach bis zum Colorado folgen und müsste dann ein Stück weit der Schlucht des mächtigen Flusses folgen, was laut Führer stellenweise ziemlich schwierig ist. Aber nach der Karte sollte es möglich sein, weglos bis zum Kwagunt Creek vorzustoßen, was die Wanderstrecke am Colorado verkürzen würde.
Von einem kleinen Aussichtspunkt aus erscheint mir diese Variante machbar und ich beschließe morgen diese weglose Abkürzung zu verfolgen.
Zurück im Lager genieße ich noch lange die Wärme des Abends hier fast am Grund der mächtigen Schlucht. Was für ein Gegensatz zu den Temperaturen der letzten beiden Abende!
Während ich bis jetzt auf meiner Wanderung nie Probleme mit Mäusen hatte, bekomme ich jetzt das Gefühl regelrecht belagert zu werden. Immer wieder nehme ich herum huschende Nager war, die von meinen Vorratsbeuteln offenbar magisch angezogen werden. Die Mäuse sind so dreist, dass sie mir beim Essen bis zu meiner Matte folgen.
Dieses Verhalten würde ich besser verstehen, wenn dies ein Platz wäre, der häufig von Touristen genutzt wird und die Nager daher wissen, dass immer etwas für sie abfällt und keine Gefahr von den Menschen droht. Aber hier in der Wildnis?
Aber es gibt noch weitere Tiere, die die Wüstennacht beleben: Ein kleiner Frosch lässt sich auf meinem Fuß nieder und etliche Fledermäuse sind hier in der Nähe des Gewässers auf Insektenjagd. Die Wolken, die am Morgen aufgezogen sind, sorgen für einen wunderschönen Sonnenaufgang, der die Felswände auf der North Rim Seite in rosiges Licht taucht.
Ich folge zunächst einem Seitental des Nankoweap Creek, das mich zunehmend an Höhe gewinnen lässt.
Schon bald sieht die Umgebung im Licht des Tages wieder ganz anders aus.

                                             Blick zurück zum Saddle Mountain

Es gibt hier zwar eigentlich keinen Weg, aber vereinzelte Fußspuren verraten mir, dass auch schon andere Leute diese Route gegangen sind.
Niedriger Blackbrush, einzelne Kakteen und Agaven mit trockenen, hohen Fruchtständen bringen etwas Leben in die trockene, steinige Einöde.
Nachdem ich aus dem Tal gestiegen bin, kann ich meine weitere Route zu einem Pass ausmachen, der die Wasserscheide zwischen Nankoweap- und Kwagunt Creek bildet.

                                                  Weglos zum Kwagunt Creek

Zwar setzt mir der Anstieg keine größeren Hindernisse entgegen, dennoch ist eine sorgfältige Beurteilung des Geländes erforderlich, wenn man die einfachste, kraftschonendste Route einschlagen möchte.
Bereits nach zwei Stunden stehe ich auf dem Pass und stelle fest, dass der Abstieg auf der anderen Seite ziemlich ähnlich ist. Eine Zeit lang rutsche ich noch die Schotterhänge herab und folge dann einem Seitental. Bevor ich den Kwagunt Creek erreiche, muss ich einmal einen hohen Absturz bewältigen, aber schließlich habe ich gegen Mittag den Bach erreicht.
Auch Kwagunt Creek führt ständig Wasser und stellt daher eine Oase in der trockenen Umgebung dar.

Neben der Absicht nicht länger als nötig dem Colorado Ufer folgen zu müssen, hat mich ein Buch hierher geführt: Zur Vorbereitung auf meine Wanderung habe ich zu Hause den Grand Canyon Klassiker „The man who walked through time“ von Colin Fletcher gelesen.
Fletcher war 1963 der Erste, der die große Schlucht zu Fuß durchmessen hat. Das Buch ist noch heute durchaus lesenswert!
Im Kwagunt Becken hatte Fletcher damals nach Resten einer Anasazi Stadt gesucht, über die er Gerüchte gehört hatte.
Zwar gibt es hier überall Scherben und andere Hinterlassenschaften die von den Anasazi zeugen, aber schon Colin Fletcher hatte erkannt, dass es hier ganz sicher keine größere Ansiedlung gegeben hat.
Nichts desto trotz lasse ich es mir nicht nehmen, ein Stück weit den Bach hinauf zu wandern, nachdem ich mein Lager aufgeschlagen habe. Ich genieße es ohne Gepäck unterwegs zu sein und mache immer wieder Pausen, während denen ich das Leben um mich herum beobachte. Ob kleine Frösche, Monarch- Schmetterlinge oder Libellen, immer gibt es etwas zu sehen.
Nach dem die Sonne unter gegangen ist, wird der zweite Teil des Mäusetheaters aufgeführt: Während ich auf meiner Matte sitzend Nudeln esse, nehme ich immer wieder zwei recht große, mit ihren langen Schwänzen durchaus niedlich aussehende Mäuse war. Sie sehen mir beim Essen sozusagen über die Schulter. Als ich dann raspelnde Geräusche aus meinem Zelt höre, muss ich feststellen, dass die Nager einen Zip-Loc Beutel aufgeknabbert haben um sich an den darin befindlichen Energieriegeln gütlich zu tun! Ich verstaue alles im Rucksack und lehne mich weiterhin auf der Matte sitzend mit dem Rücken dagegen. Das stört die Mäuse aber nicht, völlig unbeeindruckt von meiner Anwesenheit versuchen sie weiterhin an den Inhalt zu gelangen. Weder mit der Stirnlampe anstrahlen, noch mit Steinen nach ihnen werfen hat einen nachhaltigen Effekt. Natürlich treffe ich die flinken Nager nicht, aber ein bisschen Angst einjagen wird ja wohl erlaubt sein! Nein, nur wenige Sekunden nachdem der letzte Stein geflogen ist, schauen sie mich aus nur 30 Zentimeter Entfernung mit unschuldigen Augen so an, als ob sie kein Wässerchen trüben könnten.
Leider ist mein Zelt ja unten an den Seiten offen, daher geht die Mäusebelagerung weiter, als ich schlafen will. Ständig huschen sie außen vorbei und lassen sich auch durch grobes an die Zeltwand schlagen nicht verjagen.
Na ja, mein Rucksack hat ja schon Löcher genug, ich flüchte mich in die Hoffnung, dass der Stoff so schnell nicht durchgenagt ist, und ich wohl keine ernsthaften Nahrungsverluste befürchten muss. Dennoch finde ich das anfangs lustige Geschehen irgendwann gar nicht mehr komisch…
Am nächsten Morgen möchte ich wie meistens noch vor Anbruch des Tages mit der Stirnlampe im Zeltfrühstücken. Den Extra Energie- Kick zu meinen Cornflakes hole ich mir, in dem ich genüsslich einige Löffel Erdnussbutter dazu esse. Leider gibt es hier aber auch andere, die ebenso wie ich auf dass fetthaltige Zeug stehen.
Kaum stelle ich das Glas ab, kommt auch schon eine Maus durch den Bodenspalt ins Zelt gehuscht, sieht mich aus nur wenigen Zentimetern Entfernung an, und wartet auf ihre Chance, mir etwas Erdnussbutter abzujagen. Alle Versuche sie zu vertreiben wirken nur ganz kurzfristig.
Na ja, irgendwann denke ich mir, dass das doch witzige Fotos geben könnte, wenn ich die Maus bei dem Versuch an ihre Erdnussbuttermahlzeit zu kommen fotografiere.
Gesagt getan, ich bringe mich in Position und schwuppdiwupp ist der kleine Nager auch schon da. Allerdings ist die Maus ziemlich flink, weshalb leider keines der Bilder richtig scharf wird.

                                                             Gieriger Mitesser

Irgendwann habe ich es aber doch geschafft mein Frühstück zu beenden, baue mein Lager ab und folge weiter dem Kwagunt Creek abwärts.
Dieser tritt schon bald in eine enge Schlucht ein. Ich entdecke einen kleinen Frosch, dessen Farbe ihn im Sandsteingeröll hervorragend tarnt.

                                                      Gut getarnter Frosch

Es gibt zwar eine ganze Reihe kleinerer Abstürze in dem Canyon, aber diese stellen kein Problem für mich dar. Miniaturwasserfälle haben tiefe Gumpen voll mit herrlich klarem Wasser ausgewaschen.

                                                            In der Kwagunt Schlucht

Im luftfeuchten Schatten der Schlucht wächst eine ganz besondere Pflanze, Stechapfel oder auf Englisch Sacred Datura genannt. Sie ist sowohl für ihre Wirkung als Halluzinogen aber auch als übles Gift bekannt.
Na ja, mir gefällt die Gegend auch ohne berauschende Substanzen sehr gut, daher belasse ich es bei einem Foto.

                                                   Die magische Sacred Datura

Bereits nach zwei Stunden habe ich den Colorado erreicht. Der Fluss ist hier erstaunlich schmal und fließt mit schöner grüner Farbe rasant dahin.
Ich weiß, dass ich eine Zeit lang noch auf diesem Ufer weiter wandern kann, dann aber die Seite wechseln muss.
Der Colorado ist erstaunlich kalt, daher wäre es auch wenn meine Sachen noch wasserdicht verpackt wären, bei der rasanten Strömung extrem gefährlich zu versuchen über den Fluss zu schwimmen. Daher ist mein Plan, eines der Rafts die den Colorado hinab fahren anzuhalten und mir so einen lift auf die andere Seite zu verschaffen.
Leider kommt zunächst kein Gummifloß vorbei, dennoch bleibe ich hoffnungsvoll, dass mein Plan gelingt. Das Ufer des Colorado ist hier relativ breit. Sandstrände wechseln sich mit steinigen Flächen und Tamariskengebüschen ab.
Aber ich habe Glück, nach nur einer Stunde erscheint eine Gruppe aus vier jeweils mit zwei Personen besetzten Rafts. Ich rufe und tatsächlich nimmt eines der Boote Kurs auf mich. Die Rafter sind hervorragend gelaunt und ich erfahre, dass es sich bei ihnen um eine private Gruppe aus Salt Lake City handelt, die tatsächlich 16 Jahre auf ihr Permit zur Befahrung des Flusses gewartet hat!
Rafting auf dem Colorado ist Big Business, der Fluss wird von zahlreichen kommerziellen Unternehmen dominiert. Zwar sind auch private Befahrungen zugelassen, aber man muss halt lange auf eine Genehmigung warten.
Da das Boot der Beiden viel Platz bietet, ist es mit allem möglichen Luxus ausgestattet, so sind gutes Essen und kühle Getränke kein Problem auf so einer Tour.
Die Rafter bringen mich problemlos zum gegenüberliegenden Ufer und beschenken mich zu allem Überfluss noch mit einer kühlen Dose Bier und einem Energieriegel!

                                                       Freundliche Rafter

Das Vorankommen auf dieser Seite ist ziemlich langsam und mühsam. Häufig reicht eine steile Abbruchkante bis zum Ufer, daher muss ich jedes Mal einen Weg finden, wie ich die Steilstücke umgehen kann.
Ausgedehnte Felder voll massiver Felsbrocken erfordern stetige Konzentration um ein Umknicken zu vermeiden.
Aber es gibt auch einige traumhafte Strandabschnitte mit feinem weißen Sand.
Drei weitere Gruppen treiben im Laufe des Nachmittags an mir vorbei. Bei einer der Gruppen ist ein Kajaker, der allerhand Kunststücke in einer Stromschnelle vorführt.
Andrew ist aus Vail in Colorado und arbeitet im Sommer als Kajaklehrer. Im Winter sucht er sich dann meist einen Hoteljob in einem Wintersportort.
Der Colorado ist für seine wuchtigen Stromschnellen berühmt, aber was ich bisher vom Ufer aus sehe, ist alles auch ohne großes Können problemlos befahrbar.

                                                Das grüne Wasser des Colorado

Mein Tagesziel ist der Little Colorado. Aber als ich sein türkises Wasser aus der Ferne einmünden sehe, stellt es sich als gar nicht so einfach heraus, einen geeigneten Lagerplatz zu finden. Im Bereich der Mündung des Little Colorado ist es aus Naturschutzgründen verboten ein Lager aufzuschlagen.
Schließlich gelingt es mir aber doch einen halbwegs ebenen, schmalen Streifen oberhalb des Flusses zu finden, an dem ich mein Zelt aufschlage.
Da es hier weit und breit weder Siedlungen noch Industrie gibt, trinke ich das Flusswasser ohne es irgendwie zu entkeimen.
Ich bin schon gespannt wie hier die „Mäusesituation“ ist, aber außer einem Nager der in der Dunkelheit in Campnähe erscheint, behalte ich heute meine Ruhe.

Am nächsten Morgen erreiche ich schon nach kurzer Zeit die Einmündung des Little Colorado. Mit über 500 Kilometern Länge ist dieser ein ziemlich bedeutender Nebenfluss des Colorado, der oberhalb der Mündung durch einen tiefen Canyon fließt. Bernd, der ebenfalls in den Outdoorseiten aktiv ist, hat die Schlucht des Little Colorado letztes Jahr in ganzer Länge durchwandert und war schwer beeindruckt von der landschaftlichen Schönheit dieses Canyons. Nun, ich hatte mich ja entschieden, diese Route nicht zu laufen, aber zumindest möchte ich ein kleines Stück des Little Colorado erkunden, daher laufe ich einige Zeit lang flussaufwärts.
Der Little Colorado ist hier ziemlich breit, schnell fließend und erstaunlich tief, kein Rinnsal sondern ein richtiger Fluss. Immer wieder unterbrechen kleine Stromschnellen seinen Lauf.
Als die Sonne langsam in die Schlucht fällt, ergibt sich eine schöne Stimmung.

                                           Morgen am Little Colorado

Wie schon einige Male zuvor finde ich auch hier mal wieder etwas versteinertes Holz.

                                                           Versteinertes Holz

Nach einiger Zeit gelange ich an ein mit Tischen und Stühlen, sowie einem großen Gaskocher ziemlich luxuriös eingerichtetes Lager. Bald darauf treffe ich zwei Männer, die mich über das Camp aufklären. Es handelt sich um Leute der Wild- und Fischereibehörde Arizonas, die sich mehrere Male im Jahr per Hubschrauber hier her einfliegen lassen, um Untersuchungen an den Fischbeständen vorzunehmen. Zum Fang der Fische setzen sie Radiowellen ein.
Der Little Colorado ist ein wichtiges Rückzugsgebiet für einige Fischarten, die ihren Lebensraum am Hauptfluss nach den Dammbauten verloren haben. Einige Arten sind als Folge der Dämme sogar komplett ausgestorben. Da früher der Wasserstand im Colorado stark schwankend war, und die Temperatur durchschnittlich viel höher als heute, konnten sich die Fische nur schwer an die veränderten Bedingungen anpassen.
Ich dringe noch ein Stück weiter durch unangenehmen Tamariskenbusch vor, bis ich schließlich den Rückweg antrete.
Inzwischen hat die Sonne den Talboden erreicht, und bringt die auf Mineralien zurückzuführende, wunderbar türkise Färbung des Little Colorado schön zur Geltung.

                                       Türkises Wasser im Little Colorado

Auf dem Rückweg begegne ich einer großen Gruppe, die sich als Kunden eines kommerziellen Rafttrips herausstellen.
Den Fluss zu durchwaten ist zwar nicht schwierig, aber um nicht in zu tiefes Wasser zu geraten, suche ich einige Zeit lang nach einer geeigneten Stelle.
Am anderen Ufer entdecke ich eine kleine Hütte, die ein wenig an die Anasazibehausungen erinnert. Tatsächlich wurde sie aber von Ben Beamer erbaut, einem der Pioniere des Canyons, der hier um 1890 versuchte als Selbstversorger zu leben.
Ein Stück weiter soll der Beamer Trail beginnen. Allerdings sind die Wildnistrails im Grand Canyon im Gegensatz zu den hervorragend ausgeschilderten Wegen in der Nähe der Aussichtspunkte nicht markiert. Dennoch gelingt es mir nach kurzer Suche den Anfang des Pfades zu finden. Der Weg führt nach oben hoch auf die Klippen die steil zum Colorado abfallen. Hier ergibt sich ein wunderschöner Ausblick auf den Mündungsbereich des Little Colorado. Die unterschiedlichen Farben der beiden Flüsse verschmelzen auf kurzer Länge miteinander.

                                     Der türkise Little Colorado mündet in seinen großen Bruder

Wenn man die steil aufragenden Felswände sieht, könnte man glauben in einem bizarren Gebirge zu sein.

                                      Vom Ufer des Colorado steil aufragende Sandsteinfelsen

Der Name „Palisades oft the Desert“ für die Klippen des nächsten Abschnittes trifft diese großartige Naturerscheinung sehr gut.
Der Beamer Trail verläuft zum Teil etwas ausgesetzt hoch über dem Colorado. Jeder der halbwegs höhenverträglich ist, wird aber kein Problem mit dem Weg haben.

                                            Der Beamer Trail verläuft teilweise ausgesetzt über dem Colorado

Allerdings zwingen häufige Taleinschnitte immer wieder zu steilen Ab- und Wiederaufstiegen. Der Bewuchs in den von der Sonne verbrannten Felsen ist extrem karg.

                                        Taleinschnitte bescheren mir etliche Höhenmeter

Manchmal sehe ich tief unter mir einige Rafts vorbeischwimmen, einmal sogar ein Motorboot, ein weiteres Zugeständnis des Nationalparks an den Kommerz, denn eigentlich sollten nur mit Muskelkraft betriebene Boote im Canyon zugelassen sein. Bei den Lava Canyon Rapids steige ich wieder ab zum Fluss und suche mir einen geeigneten Lagerplatz in der ausgedehnten Schotterebene. Es ist jetzt ziemlich windig, so dass es gar nicht so einfach ist, mein Zelt aufzubauen.


                                                         Abend am Colorado

Ein heißer, wolkenloser Tag beginnt. Zunächst folge ich dem Beamer Trail weiter in der Flussebene. Bald erreiche ich die Einmündung des Tanner Trail, der hierher von der Südseite des Canyons führt. Ich treffe drei Wanderer, die noch am frühstücken sind. Sie haben eine Runde von 6 Tagen geplant und sind schwer beeindruckt, als ich ihnen von meiner Wanderung erzähle. Ab jetzt laufe ich auf der Escalante Route, einem weiteren nicht markiertem Wildnistrail im Grand Canyon. Nun ja, offizielle Markierungen gibt es zwar nicht, aber mit ziemlicher Regelmäßigkeit haben Wanderer Steinmännchen errichtet, anhand derer der Weg meist ohne großes Kartenstudium gut zu verfolgen ist.
Die Escalante Route verlässt schon bald den Fluss und steigt auf die Klippen oberhalb des Colorado. Dabei verläuft der Weg wesentlich höher über dem Fluss als der Beamer Trail und bietet atemberaubende Ausblicke.


                                                           Escalante Route

Schließlich erreiche ich den Escalante Creek. Laut Karte führt die Route unmittelbar über dem Colorado weiter und anfangs finde ich auch einige Steinmännchen, die das bestätigen.
Dann geht es jedoch nicht weiter. So sehr ich auch suche, wobei ich auch bis zu dem letzten Steinmännchen zurückkehre, ich kann den weiteren Wegeverlauf nicht finden.
Statt dessen entdecke ich einen offensichtlichen Trail, der sich aber offenbar weit vom Fluss entfernt, was laut der Trails Illustrated Karte nicht stimmen kann.

                                           Der Trail entfernt sich vom Fluss

Na gut, es ist schon spät, daher halte ich es für sinnvoll heute nicht weiter zu suchen und lagere in der Nähe der Einmündung des Escalante Creeks.
Eine Gruppe von Raftern ist ebenfalls dabei, hier ihr Camp zu errichten. Es ist bereits dunkel, als eine Abordnung der Rafter erscheint und mich in ihr Lager einlädt. Ich habe nichts dagegen mich mal wieder mit Menschen zu unterhalten, daher folge ich gerne der Einladung.
Im Camp der Gruppe angekommen, erfahre ich, dass sie Mormonen aus Kanab sind, die mit ihren selbstgebauten Rafts den Colorado befahren.
Da mich ihre Religion interessiert und ich nur das Klischee der Polygamie von den Mormonen kenne, stelle ich zahlreiche Fragen, auf die mir auf ruhige, unaufdringliche Art geantwortet wird.
Ich merke, dass die Religion das wichtigste im Leben dieser Menschen ist, und bin beeindruckt von ihrer herzlichen Art. Stan bietet mir sogar an, mich nach meiner Wanderung zurück nach Salt Lake City zu fahren und gibt mir seine Telefonnummer dazu!
Polygamie ist auch für Mormonen schon seit langem in den USA verboten. Die Männer und Frauen der Gruppe würden wohl nicht auf die Idee kommen, dass das Verheiratet sein mit mehreren Frauen ein wichtiger Bestandteil ihrer Religion ist, im Gegenteil, sie machen sich über die Bewohner einiger abgelegener Nester lustig, wo dieser Brauch wohl immer noch praktiziert wird…
Am nächsten Morgen stelle ich mit Entsetzen fest, dass mittlerweile auch der dritte Platyphus Behälter Löcher hat und leckt! Ein Glück, dass ich mir in Escalante Ersatz beschafft hatte. Dennoch ist es mehr als ärgerlich, dass die Container deren Haltbarkeit extrem wichtig ist, offenbar extrem fragil sind.

Ich schlage wieder denselben Weg wie gestern Nachmittag ein, der mich hoch oberhalb des Seventyfivemilecanyons entlang führt. Bald treffe ich drei Wanderer, die eine andere Karte mitführen. Auf der ist der Wegeverlauf der Escalante Route richtig eingezeichnet.
Die extrem enge Schlucht so tief unter mir ist sehr eindrucksvoll. Erst wenn man unmittelbar an ihrem Rand steht, wird einem klar, wie tief der Canyon ist.

                                               Seventyfivemilecanyon

Am Oberlauf der Schlucht sind die Wände weniger steil, und der Trail führt in den beeindruckenden, düsteren Schlund hinab. Nun folge ich dem Canyon abwärts bis ich wieder am Colorado angelangt bin. Der direkte Weg hätte nur ein kurzes Stück ausgemacht!
Ab jetzt folge ich weiter dem Colorado, was sich aber aufgrund der vielen Felsen als keineswegs einfach darstellt.

                                                 Die Morgensonne färbt den Colorado

An einer Stelle ist eine kurze Kletterpartie über etwa zehn Meter erforderlich. Sie ist technisch auch mit schwerem Rucksack nicht besonders schwierig, aber natürlich sollte man auch hier schwindelfrei sein. Ein Vater mit seinem 16- jährigen Sohn kommen mir oben entgegen. Die Beiden zögern kurz, bewältigen den Abstieg dann aber ohne Probleme.
Im Red Canyon an den Hance Rapids gelange ich wieder an den Colorado und fülle meine Wasserbeutel auf, da der Tonto Trail dem ich ab hier folge an keiner Stelle mehr an den Fluss führt und auch keine sichere Wasserstelle aufweist.
Während ich noch am Colorado bin, erscheint der Ranger Steve Rice. Zwar ist er sehr freundlich, lässt es sich aber nicht nehmen, mein Permit zu kontrollieren. Nach dem Papier müsste ich die kommende Nacht hier verbringen, möchte aber natürlich noch gerne weiter wandern. Kein Problem, Steve ruft mit seinem Satellitentelefon das für die Permits zuständige Backcountry Office an, und erfährt, dass er meine Erlaubnis entsprechend ändern kann, da die Quote an Zeltern für den nächsten Sektor noch nicht voll ist.
Da mich die Arbeit des Parkaufsehers interessiert löchere ich ihn noch etwas mit meinen Fragen. Er ist mit einer Pistole bewaffnet, und hat im Nationalpark polizeiliche Befugnisse. Als Backcountry Ranger macht er im Prinzip nichts anderes als durch den Park zu wandern und Erlaubnisse zu kontrollieren. Interessanterweise trägt er Trailrunningschuhe, die in diesem Gelände immerhin sechs Monate halten.
An acht Arbeitstage schliessen sich bei ihm stets sechs freie Tage an, kein schlechter Rhythmus!
Die Hubschrauber hält er ebenso wie ich für ein großes Problem, da sie auch oft nicht die Flugverbotszonen respektieren würden. Allerdings ist wie ich schon angenommen habe, der Preis für eine Helikopterstunde nicht gerade billig, 300 Dollar seien hierfür zu zahlen, berichtet der Ranger.
Zwar gibt es in jedem Jahr noch Tote und Rettungsaktionen hier im Canyon, die Zahl dieser Einsätze sei aber deutlich zurückgegangen, seitdem eine prägnante Aufklärungskampagne begonnen wurde.
Während wir uns unterhalten erscheint eine Gruppe von Raftern, die zunächst an Land gehen und die Stromschnelle erkunden, bevor sie sich in die Hance Rapids, einen der wilderen Abschnitte des Canyons stürzen.
Natürlich lassen wir es uns nicht nehmen, die folgende Befahrung zu beobachten und zu fotografieren. Die Wellenberge sind zwar ziemlich beeindruckend, aber in den großen „Gummibussen“ scheint das Raften der Stromschnelle nicht besonders schwierig zu sein.



                                             Rafting im Grand Canyon

Ab jetzt folge ich dem Tonto Trail, dem mit etwa 100 Kilometern längstem Wanderweg des Grand Canyons. Im Wesentlichen verläuft er auf dem Tonto Plateau, einer ausgedehnten, ebenen Stufe zwischen Canyonrand und Fluss.
Der Internetseite des Nationalparks zufolge ist Wasser ein großes Problem auf diesem Weg, daher bin ich gespannt was mich erwartet.
Der Anstieg auf das Plateau wird zwar als ziemlich anstrengend beschrieben, aber ich komme gut vorwärts. Noch einmal ergeben sich Ausblicke auf den Colorado, der jetzt in den düsteren Granit des inneren Canyons eintaucht.

                                            Die düstere innere Schlucht beginnt

Das Plateau ist nur spärlich mit einigen niedrigen Dornsträuchern, Agaven und Kakteen bewachsen. Dennoch ist die Aussicht auf die erodierten Massive des Grand Canyon immer wieder spektakulär. Man hat tatsächlich den Eindruck im Gebirge und nicht in einer Schlucht zu laufen.

                                                  Auf dem Tonto Plateau

Immer wieder umgeht der Weg dunkel- lila gefärbte, tiefe Seitenschluchten wie den Miners Canyon.

                                            Jahrmillionen der Erdgeschichte

Bereits gegen 16 Uhr schlage ich mein Lager am Oberlauf des Hance Canyons auf. Das Wetter ist ruhig, warm und stabil, daher verzichte ich mal wieder auf den Aufbau meines Zeltes. In der Nähe campiert ein älteres Paar. Als wir uns unterhalten erfahre ich, dass Ken Paläobotaniker ist. Bereits in den Siebziger Jahren wurde er mit dem Hubschrauber auf abgelegene, ansonsten unerreichbare Zinnen im Inneren des Canyons geflogen. Aus den Hinterlassenschaften von Packratten, die sich gerne unter Felsüberhängen aufhalten, hat er die Vegetation vergangener Epochen studiert. In diesem trockenen Klima ist der Kot der Nager unter günstigen Bedingungen auch nach tausenden von Jahren noch nicht verwittert. Ehedem war es viel feuchter im Canyon und Baumarten die heute nur noch auf den hochgelegenen Rändern der großen Schlucht wachsen, kamen damals auch im Inneren des Grand Canyon vor.
Später gesellt sich ein anderer interessanter Wanderer zu mir und schlägt sein Lager in meiner Nähe auf. Gary Tyler ist ein 60- jähriger, pensionierter Arzt der vor drei Jahren mit seiner Frau den Pacific Crest Trail gelaufen ist. Außerdem hat er sich gerade ein Packraft zugelegt und macht auch gerne kürzere Touren wie diese hier im Canyon. Seine Ausrüstung ist nach Thruhiker- Art typisch ultraleicht und wir haben viel miteinander zu erzählen.
Am nächsten Morgen laufe ich zunächst lange oberhalb der tiefen Schlucht des Hance Creek. Früh morgens und spät abends sind die Zeiten zu denen es mir am Besten im Grand Canyon gefällt. Atmosphäre und Licht sind noch klar, so dass sich tolle Bilder in der grandiosen Umgebung ergeben. Später am Tag ist das Licht in der Regel zu hart, als dass gute Fotos entstehen könnten.

                                                              Im klaren Morgenlicht

Etwas später ragt hoch über mir die Horseshoe Mesa auf, eine Vorsprung des South Rim zu dem ein Weg herauf führt. Die eigentliche Route des Hayduke Trail führt auf den Tafelberg, ich setze aber meine Wanderung auf dem Tonto Trail fort.
Später umrundet der Trail die Schlucht des Cottonwood Canyon. Ich begegne drei jungen Wanderern, die mir berichten, dass sie dort unten Wasser gefunden haben. Nun, einstweilen habe ich noch genug von der Flüssigkeit bei mir, so dass ich keinen weiten Umweg zur Wasserbeschaffung in den Canyon unternehme.
Kaum denke ich, auf dem Plateau Strecke machen zu können, zwingt mich schon die nächste Schlucht, Grapevine Canyon zu einem riesigen Umweg entlang der Abbruchkanten. Die Schlucht ist so tief, dass ich nur selten einen Blick bis auf den Grund erhaschen kann. Sehr beeindruckend !


                                                      

                                                  Tiefe Seitencanyons

Meist ist das Vorankommen unproblematisch, aber es gibt immer wieder auch kurze, heikle Stücke, wo man sich besser keinen Fehltritt erlaubt…
Üppiges Grün im Oberlauf eines Seitencanyons veranlasst mich zu einer genaueren Prüfung und tatsächlich, ich entdecke erstaunlich kühles, klares Wasser!
Erst einmal trinke ich mich voll wie ein Kamel, dann belade ich meine verbliebenen Wassersäcke wieder einmal.
Seit Hance Canyon ist auch wieder Ruhe eingekehrt, offenbar beachten die meisten Hubschrauber die Flugverbotszone die hier eingerichtet ist.
Bevor die Dämmerung einsetzt, schlage ich mein Nachtlager wieder ohne Zelt am Beginn eines Seitentales im Schutz eines kleinen Überhangs auf. Über mir erstrahlt ein herrlicher Sternenhimmel, eine Eule ruft in meiner Nähe und ich genieße die Ruhe einer fantastischen Nacht inmitten dieses gigantischen Canyons.
Schon seit einiger Zeit hatte ich kein Mäuseproblem mehr, aber heute schafft es einer der Nager in den Beutel mit meinen Cornflakes zu gelangen, während ich am Essen bin. Hätte ich Hunger, wäre das die perfekte Fleischbeilage… Aber die Maus hat Glück, ich habe genug zu essen im Rucksack, daher entlasse ich sie ungeschoren wieder in die Freiheit.

                                                                Morgenstimmung

Am nächsten Tag beobachte ich eine Maultierhirschkuh aus der Nähe. Erstaunlich, dass die Tiere sowohl in den üppigen Wäldern als auch hier in der trockenen Wüste vorkommen.
Da weit und breit kein Wasser zu sehen ist, finde ich es noch erstaunlicher, als ich einer Libelle die auf einem Ast sitzt begegne.

                                                 Was macht die Libelle in der trockenen Wüste?

Obwohl der Colorado in Luftlinie nicht besonders weit entfernt ist, kann ich nur ganz selten mal erahnen, dass sich sein Lauf tief unten durch die dunkle Schlucht schlängelt.

                                           Wo ist der Colorado?

                                                     Tonto Plateau


Laut Permit soll ich am Cremation Creek übernachten, da ich dort aber schon um die Mittagszeit ankomme, beschließe ich weiter zu laufen. Auch heute führt der sporadisch mit Steinmännchen markierte Trail immer wieder um die Nebencanyons herum. Der Ranger hat mir erzählt, dass sich im Oberlauf des Lonetree Canyon eventuell Wasser finden lässt, daher untersuche ich diese Schlucht einige Zeit lang, finde aber nichts.
Der leichtsinnige Wanderer sagt sich vielleicht, dass wenn er kein Wasser findet ja jederzeit zum Colorado absteigen kann. Da all diese Nebenschluchten aber mit etlichen Stufen steil abfallen, ist das ohne Kletterausrüstung in der Regel nicht möglich.
Gegen 14 Uhr erreiche ich den South Kaibab Trail. Dass dieser stark belaufen ist, beweist ein Toilettenhäuschen. was hier an der Hauptroute vom South Rim zum Fluss errichtet wurde. Einige Wanderer die mit leichtem Gepäck unterwegs zur Phantom Ranch am Colorado sind, staunen ungläubig, als ich ihnen erzähle, dass ich noch heute zum South Rim aufsteigen möchte. Ich glaube zwar nicht, dass ich bei diesem Vorhaben auf Schwierigkeiten stoße, aber ich habe noch genug Wasser, so dass ich zur Not biwakieren könnte.
Der Trail weiter aufwärts entpuppt sich als kunstvoll angelegte „Wanderautobahn“.
Da der Weg auch von Maultieren zurückgelegt wird, ist die Steigung stets recht gut zu bewältigen. Jetzt am Nachmittag haben die meisten Leute ihr Ziel schon erreicht, daher hält sich der Betrieb noch in Grenzen.
Je höher ich steige, desto schöner wird das Panorama.

                                             Wanderautobahn zum South Rim

An der Cedar Ridge sehe ich einen großen Vogel, der sich im Aufwind emporschraubt. Ich glaube meinen Augen kaum zu trauen, denn es handelt sich ganz eindeutig um einen Kalifornischen Kondor!
Diese majestätischen Vögel erreichen bis drei Meter Flügelspannweite und waren Ende der Achtziger Jahre in freier Wildbahn bereits ausgestorben. Bald danach wurde eine intensives Aufzucht- und Auswilderungsprogramm gestartet, mit dem Erfolg, dass es heute bereits wieder um die dreihundert Individuen der großen Neuweltgeierart in der Wildnis gibt. Neben einigen Orten in Kalifornien wurden sie auch hier im Grand Canyon ausgewildert und scheinen sich gut zu vermehren.

                                              Ein seltener Kalifornischer Kondor

Gegen 16.30 habe ich bereits den Trailhead erreicht. Zur Verkehrslenkung gibt es hier auf dem South Rim ein effektives Netz von kostenlosen Shuttlebussen mit denen alle Aussichtspunkte etc. erreicht werden können.
Da ich einen Ruhetag einlegen möchte, um mich hier oben etwas umzusehen, nehme ich einen Bus zu einem der zahlreichen Hotels. Mich gelüstet nach einem Bett, allerdings habe ich auch keine Lust Phantasiepreise zu bezahlen.
Alle Hotels hier gehören zu einer Kette. Daher kann der nette Angestellte der teuren Yavapai Lodge im PC sehen, dass es noch ein sehr günstiges Zimmer in der Bright Angel Lodge gibt. Gut, Duschen und Toiletten sind auf dem Flur, aber das stört mich nicht weiter. Ich hatte ohnehin nicht geglaubt, dass ich hier überhaupt eine günstige Unterkunft finden würde, aber jetzt in der zweiten Oktoberhälfte sind wohl eher noch Schnäppchenpreise möglich, als in der Ferienzeit.
Nachdem ich mich gesäubert habe, genieße ich ein Steak im Restaurant der Lodge und ein Bier in der Bar.
Mein erster Weg am nächsten Morgen führt zum Backcountry Office. Ich merke gleich, dass hier deutlich mehr los ist, als auf dem North Rim. Aber als ich schließlich dran komme, werde ich wie immer in Amerika freundlich behandelt. Ich hatte den Antrag für das Permit schon in Deutschland gestellt. Die Erteilung stellt auch kein Problem dar, lediglich meine erste geplante Etappe muss ich etwas ändern, da der Sektor in dem ich ursprünglich die erste Zeltnacht verbringen wollte schon voll ist. Na ja, der Ranger meint, dass die Alternative die er mir bietet sowieso schöner ist.
Es gibt hier ein regelrechtes Einkaufszentrum, in dem ich ohne Probleme meinen Proviant zusammen stellen kann. Selbst ein Outdoorladen existiert hier, in dem ich mal wieder neue Wassersäcke erwerbe.
Meine Stiefel haben mittlerweile ein fortgeschrittenes Stadium des Zerfalls erreicht, daher kaufe ich mir eine Rolle Duct Tape, um sie damit behelfsmäßig zu flicken.
Anschließend suche ich die Bücherei auf, in der man für wenig Geld ins Internet gehen kann.
Es weht den ganzen Tag ein starker, kalter Wind, dabei ist es sonnig und klar, was eine schöne Atmosphäre in dem Kiefernwald hervor bringt, in den das South Rim Village eingebettet liegt.
Nachdem ich meine notwendigen Erledigungen besorgt habe, kann ich mich endlich der Erkundung des South Rim widmen. Ich besuche das interessante Visitor Centre und nehme anschließend an einer von einem Ranger geleiteten Führung teil.
Diese ist wie immer in den amerikanischen Nationalparks sehr informativ, lebendig und humorvoll.
Rechtzeitig zum Sonnenuntergang sind wir am Yavapai Point, nach Meinung des Rangers ein Geheimtipp um einen besonders schönen, ruhigen Sonnenuntergang zu erleben. Dennoch finden sich eine ganze Menge Leute hier ein.
Obwohl es den ganzen Tag schön klar war, ist es jetzt etwas dunstig und der Sonnenuntergang ist nicht besonders spektakulär.
Auf dem Rückweg in der Dämmerung habe ich noch ein besonderes Erlebnis. Ein junger Wapitihirsch äst auf dem Rasen einer Lodge!
Mir war vorher gar nicht klar, dass es diese fast elchgroßen Hirsche hier gibt. Gut, eine Begegnung in der Wildnis wäre mir lieber, aber man kann nicht alles haben!

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